Ausflug ins Schwabenland

Wenn ein Berliner Schulkind Herbstferien hat, muss man nicht unbedingt in der Großstadt weilen – nö, man könnte sich ja auch mal aufs Land wagen! Zum Beispiel aufs schwäbische. Da kriegt man wieder ganz andere Eindrücke als in Neukölln, is doch auch mal was. Schon im Zug gehts los: Je weiter südlich wir reisen, desto behäbiger wirds. So findet es der ältere Herr mit dem eleganten Stuttgarter Schwäbisch auch ganz selbstverständlich, dass er (als Einziger) seinen Koffer im Gang abstellt und seinen Mantel an den Haken weit weg von sich hängt, Hauptsache Haken. Sodass nun fremde Leute seinen Mantelmief inhalieren dürfen. Reizend. Er quittiert es mit einem Achselzucken und einem gegrinsten „Gehtnichtanders“.
Nach weiteren ziemlich unangenehmen belauschten Zuggesprächen sind wir endlich angekommen. Und bevor ich noch weiter meckere, muss ich mal ganz heftig die traumhafte Sonne, die sommerlichen Temperaturen und die grünen Hügel loben! Doch, die Natur da hat schon was. Und auch als es im Laufe der Woche herbstlicher wird und wir über Felder rasen, um den kleinen Flieger zum Fliegen zu bringen, bin ich absolut zufrieden. Nur mit dem zwischenmenschlichen Aspekt hapert es manchmal, ist man in Berlin doch einfach cooler. Da sitze ich zum Beispiel im Wartezimmer eines einheimischen Hausarztes und kriege kaum Luft. Nein, keine gesundheitlichen Probleme, ich habe ja nur die ältere Generation begleitet. Aber dieser selbstzufriedene Typ im Anzug hat sich so mit Rasierwasser eingedieselt, dass der Raum davon vollhängt. Nä, uncool. Der begrüßt die Neuankömmlinge auch mit einem unpassenden „Guten Tag“, wo wir doch im Grüß-Gott-Land sind!
Ich dagegen habe schon im Zug den Schaffner freudig landesüblich begrüßt. Tja, gewusst wie! Aber immer schaffe ich es doch nicht, die richtigen Worte zu finden. Beim Bäcker verlange ich glatt einen Pfannkuchen, und erst nach Nachfragen der Verkäuferin gebe ich zu, dass ich einen Berliner will. Wie konnte das denn passieren! Auch das Laugenbrötchen wird von ihr schnell in ein Laugenwecken verwandelt und ich bins zufrieden. Schmeckt ja auch besser als anderswo.
Dass die Leute langsamer und oft auch freundlicher sind als hier in der Hauptstadt, ist manchmal ja auch ganz nett.
Da war zum Beispiel die Sprechstundenhilfe, die mich anstrahlte und fragte, wann es denn bei mir soweit sei! Ich habe dann bestürzt gedacht, dass ich vielleicht doch weniger Pralinen essen und nicht so weite Sweatshirts bevorzugen sollte …
Das Schlimmste im Schnäppchenparadies Nummer eins sind übrigens die Schnäppchenjäger. Vielleicht sollte ich dazu erklären, dass mein Heimatstädtchen am Rande nett und grün und angenehm ist. Im Zentrum aber hat sich in den letzten Jahrzehnten der Irrsinn ausgebreitet und ständig kommen neue namhafte Outlets hinzu, was immer das nun eigentlich sei. Horden von tütentragenden Chinesen, Italienern, München und Hamburgern überfluten die Straßen und haben dann so geistreiche Gespräche wie „Mensch du, bei XY waren wir ja noch nicht drin!“, wobei sie die Taschen schon gar nicht mehr überblicken können! Grauslig. Vor allem die Unsummen, die da mal eben rausgehauen werden. Und die Gesichter und die Oberflächlichkeit.
Ich gönne mir für acht Euro einen Pyjama. Ätsch. Ein Lob auf die schwäbische Sparsamkeit!
Und sonst? Sehr zu empfehlen das Brot, auch der Käse vom Markt und der Schnaps vom Bauern. Entsetzlich der Verkehr, jeder düst ständig überall mit dem Auto hin, Fußgänger sind verdächtig!

Als wir zur Heimreise wieder im Zug sitzen, sucht ein altes Weiblein vergeblich ihren Sitzplatz. Ist auch schwierig, wenn man nur auf der einen Seite des Wagens nachsieht. Schließlich erbarmen sich ein paar junge Männer nichtschwäbischer Herkunft und helfen ihr. Anschließend machen sie sich über die in ihren Augen mangelnde Intelligenz der Schwaben lustig. Hm. Daran merke ich, dass wir das Ländle wieder verlassen und uns in die frechschnauzige Welt zurückbewegen. Inzwischen wieder im grauen Neukölln vermisse ich dann doch etwas die süddeutsche Lieblichkeit. Man kann eben nicht alles haben!

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