Weichei

Als er fünf war, erstarrte er, als ihm die bösen Jungs Schnee in den Kragen stopften. Dann brach er in Tränen aus und lief zur Mutter, die nur lächelnd den Kopf schüttelte. Ihm dann die Jacke auszog und ihn tröstete. Böse, böse Buben, die. Der Vater rümpfte die Nase und brummte „Weichei“.

Mit zehn wusste er genau, was er zum Lehrer sagen musste, damit seine Feinde ihre Strafe bekamen. Sein sanftes Gesicht ließ sämtliche Tanten und Großmütter dahinschmelzen – die bösen Buben aber merkten sich alles.

Zu seinem 15. Geburtstag schenkte ihm Lisa-Mareen ein Buch, das er nicht verstand. Ihre Hand auf der seinen verstand er auch nicht und ihre sehnsüchtigen Blicke; in jener Zeit verbrachte er wieder mehr Zeit in Mutterns Küche.

Das Treiben an der Uni fand er abstoßend. Nur gut, dass seine Jura-Kommilitonen nicht alle so schlimm drauf waren wie der Rest der Studenten. Die bösen Jungs hockten in anderen Fächern und diskutierten über die Entmachtung des Systems. Mit 26 hatte er sein Diplom mit Auszeichnung in der Tasche und dazu den Stolz des Vaters. Da lächelte er.

Mit dreißig dachte er ernsthaft über eine Ehe mit Sabine nach, aber dann wurde nichts draus. Auch seiner Mutter war sie verdächtig vorgekommen. Die Festnahme auf einer Demo gab ihm dann Recht. Kollegen nannten ihn übrigens „Kofferträger“, aber das störte ihn nicht. Er wusste, dass er auf dem richtigen Weg war. Nach oben nämlich.

Als er 39 war, konnte er zufrieden seine zwei Kinderchen und Charlotte betrachten, die das Häuschen in seinem Sinne pflegte. Seinen Sohn wollte er männlich erziehen. Er brüllte ihn an, als der mit Schnee im Anorak nach Hause kam. „Verdammtes Weichei“, dachte er nur.

Schon mit 42 war er in der Partei dort, wohin er sich einst mit fünfzig geträumt hatte. Das Händeschütteln des ersten Mannes sollte er nie vergessen. Den Blick von Rosa allerdings sehr schnell – für weibliche Aufdringlichkeit hatte er nach wie vor nichts übrig. Ihren Brief zerriss er. „Rosa? Wer soll das sein?“, würde er später denken.

„Stärke und den Blick fürs Wesentliche“ versprach sein Wahlspruch, als er mit 51 stolz in die Kameras blickte und sich zum höchsten Amt gratulieren ließ. Seine Frau Charlotte stand neben ihm und strahlte in an, auch Tochter Sofia wirkte sehr fotogen. Nur Sohn Oliver blieb zum Entzug in der Klinik; ein Fakt, der den Journalisten entgangen war. Das hätte den bösen Buben bei den Zeitungen gefallen.

Die Meute bekam dann doch noch ihr Fressen, als sein Sohn vor laufenden Kameras aufkreuzte, eine Pistole hervorzog und den Vater niederschoss. „Selber Weichei“, murmelte er nur wirr, als die Polizei ihn mitnahm. Das Haus wurde dann später verkauft und Charlotte heiratete einen Architekten in Bonn. Aber das ist dann wieder eine andere Geschichte und Weicheier gabs da nicht mehr. Höchstens ein paar böse Buben.

4 Kommentare zu “Weichei”

  1. SuMuze
    Oktober 29th, 2007 22:28
    1

    Ich zöge als Ende vor, daß der Vater ihm lächelnd die Pistole entwendet, weil’s dann einfach doch zu lange dauerte mit dem Erschießen, und vor laufenden Kameras erklärte, die besten Ärzte würden sich des Problems annehmen. Was auch stimmte. Und das wäre dann halt wieder die gleiche Geschichte, mit Weicheiern und bösen Buben und Charlotten und Architekten, aber vielleicht diesmal nicht in Bonn..

  2. Franziska
    Oktober 29th, 2007 22:47
    2

    Ach nee, ich wollte dem Weichei Nummer 1 eben eins auf die Mütze geben, hä! Der sollte nicht als Sieger davonkommen. Als Gruß an alle verklemmten Streber!
    (Grimmiges Grinsen)

  3. SuMuze
    Oktober 30th, 2007 09:27
    3

    Weicheier kriegen nie was auf die Mütze. Das biegt sich alles schnell genug weg…

  4. Franziska
    Oktober 30th, 2007 21:52
    4

    Nie? Ha! Bei mir sieht das aber anders aus!! Endlich …