S-Bahn-Stimmung Montag
Montagmorgen, kurz vor acht: Da hab ich mich mühsam in die Ringbahn gequält, hundemüde wie alle um mich rum, bleiche Gesichter und Ringe unter den Augen: alle. Ab Hermannstraße immerhin ein Sitzplatz, auf den ich die morschen Knochen sinken lassen kann. Wieso muss man Montag überhaupt raus? Wieso kann ich nicht dringend verhindert sein oder sonstwas? Nicht verfügbar? Na jedenfalls: Montagmorgen. Und dann das. Die neben mir, sie steht im Gang und lauert noch auf einen Sitzplatz. Und um schon die passende ungemütliche Stimmung zu verbreiten und eventuelle Opfer zu vertreiben, liest sie ihre blöde Zeitung auf eine Art, die jeden wahnsinnig machen muss. Hektisch reißt sie die nächste Seite um, und wieder, und wieder! Das ist keine Lesen, das ist Terror pur. Außerdem hängen die Blätter regelrecht auf meinem Kopf, muss das denn sein, hat die denn kein anständiges Buch zu Hause, das sie mitschleppen könnte? Im Geiste springe ich in bester Montagslaune auf, reiße ihr die Zeitung aus der Hand, zerfetze sie, die Zeitung meine ich, brülle ihr ins Gesicht, schmeiße kleine Zeitungsbälle durchs Abteil, auch andere machen mit, die Stimmung wird immer besser, mir gehts guuuut!
In Wirklichkeit aber findet sie einen Sitzplatz und belästigt jetzt ihre Sitznachbarn. Ich schließe verzweifelt die Augen. Montagmorgen.
Montagabend: Besser. Der Tag ist geschafft, es ist zehn Uhr, und ich darf endlich heim zu meinen Lieben! Ein Türke ruft in sein Handy und ich amüsiere mich. „Isch bin Südkreuz! Isch bin Südkreuz!“ Wow, hat irgendwie was Christliches, finde ich. Aber warum sagt er das so deutlich und immer und immer wieder? Plötzlich höre ich eine Kinderstimme am anderen Ende, ach so! Er ist also stolzer Papa. Sie solle nicht so laut brüllen, meint er. Und „Sagst du Ane isch bin Tempelhof, isch bin Tempelhof!“ Die Kinderstimme jetzt ganz laut, und ich grinse ihn verständnisvoll an. Er grinst verlegen zurück. Stimmung: Gut. Isch bin fast Neukölln!