Endlich saß sie im Flieger. Lehnte sich zurück in Erwartung diverser Häppchen und eines Ausblicks auf Wolken von oben. Alles war geschafft, der Koffer ohne Übergewicht eingecheckt, im letzten Moment noch an Badeanzug und Reisewecker gedacht. Fenster geschlossen, Blumen in Badewanne, Tiere zur Nachbarin, Herd abgestellt. Herd. Abgestellt? Sie hatte am Morgen noch ein Ei gekocht, man muss ja was im Magen haben, das hatte schon ihre Mutter immer vor einer Reise gesagt, also Eichen gekocht, ausnahmsweise den guten Eierbecher genommen, Topf abgewaschen, Herd abgestellt?
Vor ihrem geistigen Auge taucht eine glühende Herdplatte auf, rot-leuchtend, eigentlich schön. Darüber der Lüfter, schmelzendes Plastik, das sich langsam in die Wand frisst.
Sie schnallte sich an und schloss die Augen. Die Hände eiskalt. Sie hatte den Herd abgestellt!
Allmählich würde sich das Glühen und Zischen in loderndeFlammen verwandeln. Noch ahnten die Nachbarn nichts, saßen gemütlich vorm Fernseher, während in ihrer einsamen Wohnung eine Feuerwand wuchs. Die ersten, die Alarm schlagen würden, wären ihre Meerschweinchen, bei Frau Schmittbauer untergebracht. Sie würden wie wild pfeifen und den todbringenden Dampf entsetzt zur Kenntnis nehmen. Und keiner würde sie verstehen! „Die sind aber laut! Wollen die schon wieder was zu essen? Na ihr Kleinen, noch eine Karotte?“ Inzwischen wäre der brodelnde Lärm in ihrer Wohnung zwar zu hören, aber wer reagiert denn da? „Was bei denen wohl wieder im Fernsehen läuft?“
Den angebotenen Kaffee lehnte sie ab und die Stewardess schwebte lächelnd weiter. Gab es so etwas wie eine Notbremse in diesem Flugzeug? Man musste das Unglück verhindern!
Von der Straße wären Flammen sichtbar, die aus dem Fenster schlugen, und endlich würde jemand die Feuerwehr benachrichtigen. Riesige Löschfahrzeuge vor dem Haus, Lautsprecheransagen wie „Hier spricht die Polizei / Feuerwehr ( wie sagten die denn dann?) – bitte verlassen Sie umgehen das Haus, Achtung, es besteht Lebensgefahr, bewahren Sie Ruhe, kommen Sie mit erhobenen Händen …“ – ach nein, das war ein anderer Traum. Sie ließ sich ein Bier geben, das beruhigte. Inzwischen hoch über den Wolken (wo war die grenzenlose Freiheit? Grenzenlose Panik!), hätte sie sich wirklich entspannen können. War sowieso alles zu spät. Konnte man vom Flugzeug aus anrufen? Sie hatte mal gehört, dass ein Handy ein Flugzeug zum Abstürzen bringen konnte. Aber war dies nicht ein Notfall? Ihre Hand umschloss den Apparat in ihrer Tasche.
Die Schweinchen. Keiner würde sie retten, obwohl sie alle hätten retten können! Wenn die Menschen doch nur mehr auf die Tiere … zu spät. Sie würde heimkehren und vor rauchenden Mauerresten stehen. Verwahrloste Gestalten würden im Schutt wühlen und vor ihren Augen ihre Perlenkette aus der Schatulle ziehen, letztes Überbleibsel guter Tage. Sie würde zusammenbrechen, schluchzend, und dann würde man sie in eine Nervenklinik einliefern, wo sie den Rest ihrer Tage im Dämmerzustand verbringen würde. Nur beim Anblick eines Meerschweinchens würde sie in hemmungsloses Schluchzen ausbrechen oder Schreikrämpfe kriegen.
„Meine Damen und Herren, wir setzen nun zum Landeanflug an. Wir hoffen, Sie hatten einen angenehmen Flug …“ Verbrecher, alle. Die waren daran schuld, die hatten ihr das Telefonieren nicht erlauben wollen, die hatten ihr Leben ruiniert!
„Hallo Frau Schmittbauer, ich bins, ich wollte nur mal fragen, ist alles in Ordnung?“ „Aber ja, machen Sie sich keine Sorgen, alles ist bestens, und Ihre kleinen Lieblinge haben ja so einen gesunden Appetit, gerade habe ich ihnen noch ein Stück Mohrrübe gegeben, tschüs, das wird ja sonst zu teuer, Sie machen sich ja immer viel zu viel Gedanken, viel Spaß noch!“. Sie legte auf. Vielleicht hatte sie den Herd ja doch abgestellt.