Andreas 36
Freitag, 27. April 2007Andreas nippte etwas zögerlich an seinem Wein – das Zeug wollte ihm einfach nicht schmecken. Aber es ging ihm ja auch um das richtige Feeling, darum nahm er sich zusammen. Und gerade, als er lässig seinen Kopf nach hinten warf und noch einen sauren Schluck nehmen wollte – da fiel sein Blick auf sie. Nina, nein, Noemi, seine Nachbarin! Sie musste gerade eine Joggingrunde hinter sich haben, denn sie sah unglaublich verschwitzt aus (kein Wunder bei den Temperaturen, die redeten schon wieder von Wärmerekord); außerdem trug sie eine graue Jogginghose und ein schwarzes T-Shirt, was sie aber nicht minder anziehend machte. Zumindest für einen ausgehungerten, verkrampften Grundschullehrer Anfang Vierzig.
Sie sah ihn. Und oh Wunder, sie lächelte ja schon wieder! Andreas‘ Herz schlug schneller, als er kurz seine Hand hob, ein kleiner nachbarlicher Gruß nur. Vielleicht war es ja seine Schüchternheit, vielleicht aber auch ihr unglaublicher Durst? Jedenfalls setzte sie sich zu ihm an den Tisch, ganz locker. Und mit einem Mal war das Zentrum der Welt dieses Café im Körnerpark, ein kleiner runder Tisch, Blick auf eine hohe Mauer, die den Park abgrenzte. Nichts schien sonst noch zu existieren.
Nina kannte an diesem heißen Tag nur ein Ziel: Jenen Park, in dem sie ihn das erste Mal geahnt hatte. Japanischer Garten, kleiner Schrein, Sandlandschaft. Schnell war sie verschwitzt, denn es herrschten 28 Grad in Berlin, und das Kleid klebte ihr am Leib. Was ihre Körperformen nur hervorhob und sich wie hundert Hände anfühlte. Hände, die sie fest im Griff hatten. Auch andere schienen davon etwas zu ahnen, denn so manche Blicker folgten ihr. Noch immer schwankte sie zwischen Angst und Hoffnung.
Worüber spreche ich nur mit ihr? Was denken junge Frauen um die dreißig eigentlich?, dachte Andreas panisch, während er sein Glas hin- und herdrehte und bedauerte, keinen Löffel zu haben wie beim Kaffee. „Na, auch ein kleines Päuschen zwischendurch?“, fragte sie munter und irritierte ihn dadurch noch mehr. „Öh, ja.“, war seine geistreiche Antwort. „Brauchte mal frische Luft.“ „Ja, die Luft ist heute unglaublich, was? Und der Flieder da drüben, der betäubt einen richtig!“, lachte sie, während sie ihren Orangensaft entgegennahm. Wie machte die das nur, so entspannt zu sein? Er konnte es nicht begreifen.
Gleichzeitig mit der jungen Kommissarin ging auch ein anderer durch die Stadt, und auch ihm folgte so mancher Blick. Denn er war völlig schwarz gekleidet, nach Art der Schertkämpfer des einstigen Japans, und seine Augen trafen seine Mitmenschen so kalt, dass es den fror, der getroffen wurde. Er ging aufrecht und ohne Eile. Und doch so zielstrebig, dass keiner es gewagt hätte, ihn aufzuhalten.
„Und, was machst du ’n so?“, fragte Noemi ziemlich desinteressiert und sah kurz zu ihm rüber. Dieser kurze, lieblose Blick war es vielleicht, der einen Entschluss in Andreas reifen ließ. Er würde es tun!