So, mein einziges freies Wochenende liegt hinter mir. Und was macht die eifrige Tunesienentdeckerin? Sie könnte in Tunis bleiben und am Computer rumhängen. Oder aber eine Einladung nach Sousse annehmen. „Sousse? Sie kennen Sousse noch nicht??“, wurde ich bisher ständig gefragt. „Oh, es ist wunderbar dort, man muss Sousse gesehen haben!“ Und so weiter. Gut, denke ich. Es dient ja auch der guten Sache, man kann Geschäftsverbindungen pflegen und vielleicht eine flüchtigen Blick aufs Meer werfen.
Okay. Ich sage dort zu und stelle mir vor, wie die Frau des Hauses nun emsig das Sofa im Eckchen freiräumt. Oder sowas in der Art, nur keine Umstände!
Mir wird ein Zug empfohlen, der besonders schnell ist und nur eine Klasse hat mit Sitzplatzgarantie. Klingt doch gut, man will es mit der Abenteuerlichkeit ja auch nicht übertreiben.
Am Bahnhof: Menschenmassen, die alle nach Sousse oder zumindest in Richtung Meer wollen. Ist schliesslich Samstag Nachmittag. Den empfohlenen Zug gibt es nicht und ich nehme einfach eine Karte für den nächsten; warte in der Halle, mein Buch hilft mir, die anderthalb Stunden zu überstehen.
Dann, zehn Minuten vor Abfahrt, trabe ich gelassen zum Zug und will meinen Platz einnehmen; denkste. Mir war nicht so richtig aufgefallen, dass ich eine Karte zweiter Klasse erstanden hatte, das ist wie in manchen Kinos: Man denkt, man hat einen Platz. Und dann steht man da wie blöd, sieht sich all die sitzenden Gestalten an und denkt: Wieso zum Henker bin ich nicht früher losgetrabt?
Das Abenteuer beginnt also im Stehen, aber bald kriege ich von einem netten Menschen einen Platz angeboten und die Fahrt ist ganz nett. Plaudereien mit den anderen, es ist lustig und unverkrampft.
Ankunft. Hier beginnt nun das Erlebnis der etwas anderen Art. Wenn ich dachte, ich könnte bescheiden irgendwo unterkriechen, so hatte ich mich getäuscht. Vom ersten Moment an werde ich förmlich auf Händen getragen. Blumen gleich im Auto, der Strauss muss ein Vermögen im trockenen Tunesien gekostet haben; anschliessend gehts ins Hotel – ja, Hotel, man hat ein Hotelzimmer für mich organisiert; ein Doppelzimmer, was anderes gabs nicht mehr, der Inhaber ein Cousin meines Gastgebers.
Allmählich wird mir das alles unheimlich, aber ich kann euch schon jetzt beruhigen, will ja jetzt nicht unnötig Spannung aufbauen: Nein, keiner fällt über mich her, ich habe das Zimmer ungestört ganz für mich!
Trotzdem. Auch Gastfreundschaft kann quälen, obwohl der aufmerksame und ständig lächelnde Gastgeber das nicht ahnt. Hier treffen Welten aufeinander! Ich will es kurz machen, aber es muss raus, sonst platze ich:
Ich mag es nicht, wenn ich beim Essen mehr und noch mehr essen muss, als ich will.
Ich mag es nicht, wenn man mich ständig für jede Erklärung am Arm berührt, meine Hüfte, um mir die Richtung beim Stadtbummel anzuzeigen.
Ich mag es nicht, wenn ich unbedingt von seinem Bier probieren muss und von seiner Thunfischpizza, zum Henker; und ich mag es nicht, wenn ich die Ehefrau überhaupt nicht zu Gesicht kriege und stattdessen ununterbrochen nur mit dem Gastgeber zusammenhocken muss; selbst beim Schwimmen kann ich keine richtigen Schwimmzüge machen, so sehr hält er sich in meiner Nähe auf. Sonntagmittag beschliesse ich, schon um vier nach Tunis zurückzufahren; ich bin inzwischen innerlich so angespannt, dass ich meinem weiterhin strahlenden Gastgeber sonst ins Gesicht gesprungen wäre. Er wundert sich über den frühen Aufbruch und zeigt grosse Traurigkeit; ob ich ihn und Sousse auch ja nicht vergessen werde … nein, sicher nicht.
Ich weiss, ich bin ungerecht und ein schlechter, undankbarer Gast. Aber das ist mir schlichtweg zu viel des Guten! Und auch wenn mir meine vertrauten Ratgeber im Hotel versichern, das sei normal, das ist tunesische Gastfreundschaft: Ohne mich, für mich ist das nicht mehr normal. Aber ich höre jetzt auf zu lästern. Pech eben.
Und Sousse? Ich war in dem Touristennest. Durch die Hotellobby waberten dicke Tanten, blond gefärbte Europäerinnen, mürrisch dreinblickende Jugendliche; im Restaurant abends, lauer Wind, laute Musik, das Übliche eben: Am Nebentisch knutscht die junge Deutsche wild mit einem jungen Tunesier; als der kurz verschwindet, taucht ein anderer auf, setzt sich neben sie und sie begrabscht ihn munter. Wohin bin ich hier geraten? Die jungen Einheimischen sind auf Frauenfang, die Touristinnen wollen ihren Spass, die Familien bewegen sich zwischen Pool (auf den ich von meinem Balkon aus blicken durfte) und Strand, wo die Liegen ordentlich nebeneinander aufgereiht stehen; keiner hier von diesen internationalen Massen scheint etwas von Tunesien gesehen zu haben; sie stopfen sich voll; und vielleicht lästern sie über die aufdringlichen Tunesier, weiss der Henker. Ich halte so etwas nicht aus! Das ist nicht Tunesien.
Als ich Sonntagnachmittag endlich im Zug sitze (den wirklich allerletzten Sitzplatz ergattert, da gewisse Leute sich nicht sonderlich beeilen wollten), da atme ich auf und bin endlich wieder ich selbst. Niemand sagt mir mehr, was ich tun oder essen soll und mein Nachbar lässt mich völlig unbeachtet. Danke. Als ich endlich wieder in mein hübsches kleines Hotel im jüdischen Viertel von Tunis komme und herzlich begrüsst werde, da bin ich heilfroh, wieder „zu Hause“ zu sein!
(Keine Sorge, Mittwoch bin ich wieder in Neukölln ;-)