Andreas 32

Samstag: Wieder stand Andreas im Supermarkt und betrachtete lustlos die geschmacklosen Frühlingsäpfel, während er an ganz anderes dachte: Verdammt, wieso ist dieser Samurai so ein langweiliger Heini? Was wollen meine Leser? Sex und Crime, versprochen ist versprochen. Und was kriegen sie? Leere Tatamiböden und ein Schwert auf dem Tisch des Kommissariats. Mist. Irgendetwas lief da schief.
Daher war es nicht verwunderlich, dass er beim Einkaufen die Hälfte vergaß und später die Haustür besonders ruckartig öffnete. Und dann mit Schwung mit Noemi Müller zusammenstieß und seine Taschen fallen ließ. Kein Wunder, wie gesagt. Verwunderlich war es allerdings, dass Noemi keinen angewiderten Schreikrampf bei seinem Anblick bekam, sondern ihm einfach lachend half, eine Chipstüte, drei Orangen und eine mutige Dose Bier wieder einzusammeln. Dann ging sie allerdings.

Abends in ihrer Wohnung brauchte Nina einige Zeit, um die Anspannung des Tages loszuwerden. Was hatten die Kollegen sie gelöchert! Woher das Schwert stammte, wie sie ihn gefunden hatte, warum sie nichts gesagt hatte … sie hatte sich mehr schlecht als recht rausgeredet und ihnen eine ziemlich abenteuerliche Geschichte aufgetischt. Die Wahrheit wäre einfach zu abenteuerlich gewesen. Sie zog sich ihre Haarstäbchen aus den aufgesteckten Haaren, schüttelte die rote Mähne und seufzte tief. Dann musste sie noch einmal seufzen; diesmal vor Behagen und Erleichterung. Er war von hinten an sie heran getreten und hielt sie nun mit einem Mal umfasst, als wollte er sie nie wieder loslassen. Sie erzitterte kurz. Was, wenn er sie bestrafen wollte? Sie ahnte, was die Waffe ihm bedeutet hatte. „Ich musste es tun, glaub mir!“, begann sie ihre Erklärung, noch bevor er fragte. „Du würdest sonst nie aufhören, und sie brauchen diesen Beweis.“ Er schüttelte unwillig den Kopf. „Was redest du da für einen Unsinn?“, murmelte er, und es war das erste Mal, dass sie seine Stimme hörte. Sprich weiter, dachte sie, und bezaubere mich wieder wie neulich im Park. So dicht bei ihm war sie völlig wehrlos. Selbst wenn er sie nicht festgehalten hätte.

Andreas wurde langsam munter. Ja, so sollten Frauen doch gefälligst sein! Erst aufmüpfig-verlockend, und dann Wachs in seinen Armen, jawoll. Wie die von unten sich wohl verhalten würde, mit einem so starken Samurai-Mörder im Wohnzimmer?

Dann schwiegen sie eine ganze Weile. Nina schloss die Augen und lehnte sich an ihn, ob er nun Feind oder Freund war. Sie war bereit für seine Entscheidung. Er atmete den Duft ihrer Haare und ihrer Haut und seine Wut verrauchte. Doch immer noch hielt er sie eisern fest. Und während er sie so an sich presste, merkte er, wie sich etwas in seiner Leibesmitte regte, mit dem er nicht gerechnet hätte. Es traf ihn wie ein Blitzstrahl, und genauso schnell ließ er sie auch los. Sie aber entfernte sich nicht, sondern drehte sich langsam zu ihm um. Sah ihm endlich in die Augen. Dann küsste sie ihn. Sie küssten sich, wie sie noch nie geküsst hatten, sehnsüchtig, verzweifelt. Sie nahm ihn schließlich bei der Hand und zog ihn sanft ins Schlafzimmer.

Andreas öffnete die Bierdose und kühlte sich etwas ab. Jetzt an dessen Stelle, das wärs! Die beiden würden hemmungslos über einander herfallen, ganz klar, das wäre Erotik vom Feinsten, Lust und Wut und Verzweiflung eines einsamen Rächers, der zum ersten Mal jemanden gefunden hatte, der ihn verstand. Wieso verstand ihn, Andreas, denn niemand? Wieso hockte er hier allein in seiner blöden Neuköllner Altbauwohnung rum, während ganz Berlin es gerade trieb?
Jetzt öffnete er auch noch die Chipstüte.

2 Kommentare zu “Andreas 32”

  1. SuMuze
    April 22nd, 2007 12:01
    1

    Daß Bier Männern Mut macht, weiß ich ja mittlerweile, aber daß auch eine Dose Bier mutig sein kann, gefällt mir sehr. :-)

  2. Franziska
    April 22nd, 2007 13:30
    2

    Ja, die war mir auch gleich sympathisch!