Andreas 31
Schon in dem Moment, als er in seine Wohnung eintrat, spürte er, dass etwas anders war. Doch wie gewohnt streifte er zunächst seine Schuhe ab, murmelte im Geiste sein vertrautes „Tadaima!“, was in Japan immer das Heimkehren für ihn begleitet hatte. Seine Mutter hatte sich dann immer den Spaß gemacht und ganz traditionell japanisch mit „Okaerinasai!“ geantwortet, „Schön, dass du wieder zurück bist!“. Nun antwortete ihm natürlich niemand mehr; und das war auch besser so. Barfuß durchquerte er den Tatami-Raum, der ihm zur Meditation diente (es war teuer genug gewesen, die Strohmatten in Deutschland zu beschaffen), und wollte gerade sein Arbeitszimmer betreten, da fühlte er sich plötzlich wie in eine Szene in Zeitlupe versetzt. Nichts war mehr wirklich. Seine Augen bohrten sich in die leere Stelle an der Wand, an der noch am Morgen sein Schwert gehangen hatte, und der Schrei, hätte man ihn hören können, hätte ganz Berlin erschüttern müssen. So aber zerriss er ihn nur innerlich.
Andreas schüttelte ärgerlich den Kopf. So ein Jammerlappen! Müsste doch viel cooler sein, Schwert hin oder her. Er selbst wäre als grimmiger Rächer bestimmt gelassener, ha! Er lehnte sich genüsslich zurück und freute sich, Herr über den Herrn des Schwertes zu sein. Er könnte ihm natürlich auch etwas mehr Männlichkeit schenken, Nina war ja auch bereit, ihn zu schätzen. Vielleicht, so dachte er. Mal sehn. Wenn ich mich dazu herablasse …
Als er heimkehrte, spürte er sofort eine besondere Schwingung in seinen Räumen. Konnte es sein, dass jemand seine Matten betreten hatte, dass jemand diese Dreistigkeit besessen hatte? Wie jeden Abend setzte er sich zunächst in die Mitte seines japanischen Raums, der nur mit Tatami-Matten und einem Wandbild ausgestattet war. Vor dem Bild ein Gesteck aus drei Pflanzen, die er jeden Tag erneuerte: Sie verkörperten Kraft, Schönheit und Angst.
Er schloss die Augen und lauschte in sich und in die Welt. Und da konnte er sehen, was er mit geöffneten Augen nicht bemerkt hatte: Das Schwert war verschwunden.
Er erhob sich. Sie war zu weit gegangen!