Mitte der Woche

Man kann sich natürlich vom Alltag verschlingen lassen. Morgens: Die glasigen Blicke überall; unerwünschte Musik in den Ohren gegenüber. Lektüre, bei der die Gedanken abschweifen. Die S-Bahn umrundet wieder mal Berlin und die Sonne geht zaghaft auf. Ich hebe den Kopf, als ich eine Stimme höre, die mich schon öfter aus meinen S-Bahn-Träumen gerissen hat: Ich kenne sie jetzt schon seit Monaten. Krankenschwester, 18 oder 19 Jahre alt, dick, grimmig, mächtig. Zumeist ein zartes Krankenschwesterlein neben sich, das an ihren Lippen hängt und sich an ihre Seite schmiegt, nicht immer die Gleiche. Themen: Patienten, die es wagen, sich aufzulehnen. Die die Grimmige auf dreißig geschätzt haben, solche Idioten. Heute serviert man mir eine schöne Chemotherapie, Kotzerei und nochmal Kotzerei, meine Güte, warum muss ich mir das alles anhören, Nierenversagen, Haarausfall, sie hat wirklich eine weit tragende Stimme, die Grimmige, deren Patientin ich wirklich und wahrhaftig niemals werden will, sie ist furchterregend!
In dieser Stimmung zur Arbeit. Auch andere Menschen kenne ich morgens, immer wieder die gleichen Gesichter, und die gleichen Spielregeln: Lasst mich in Ruhe.

Nachmittag. Ein Termin wurde abgesagt und die Stadt liegt mir zu Füßen. Sonne! Man könnte sich einerseits nach Hause stürzen und irgendwelchen Pflichten nachkommen. Sowas solls ja geben.
Man könnte sich aber auch am Ku’damm einen Bus Richtung Neuköllner Heimat nehmen und mal wieder die ganze Stadt von oben genießen! Das mache ich. Ganz vorne sitze ich, und gleich neben mir ein wunderbarer Hund, der den Ausblick genauso genießt. Ich bin begeistert. Die Stadt lebt, an jeder Ecke ein neues kleines Drama, dazu die Menschen im Bus, die Hundeaugen, die Sonne … mit etwas Verspätung komme ich heute nach Hause. Aber es hat sich gelohnt. Wer wollte da woanders wohnen?

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