Essensausgabe
An sich war die Arbeit gar nicht so schlecht: Kartoffen schälen, Töpfe putzen und Punkt zwölf vorne am Tresen stehen und das Essen ausgeben. An sich. Die Küche war sauber und auch die Lebensmittel stanken nicht, das musste sie schon zugeben. Gut, einen Euro für eine Stunde war nicht viel, aber doch eine Aufstockung ihrer Bezüge, da wollte sie sich nicht beschweren. Das Problem war diese Frau. Hubner hieß sie, und ihre Augen waren überall.
Am Anfang hatte sie das gar nicht gemerkt. Küchenhilfe, das sollte sie sein, nichts weiter. Nur die Regeln waren ihr etwas komisch vorgekommen: „Soße und Fleisch sind stets über Kartoffeln oder Reis zu geben“. Komische Sache, aber na bitte, es gibt schlimmere Regeln, oder? Munter hatte sie immer alles über die Beilagen gekippt, es sah aus wie ein brauner Vulkan, und freundlich hatte sie den Leuten einen guten Appetit gewünscht. Auch wenn sie sie nicht verstanden – der Wille zählte doch, oder? Und Hunger hatten die offensichtlich, so wie die auf der anderen Seite ihres Tresen standen und sie anstarrten. Jeden Tag dasselbe. Zack, Patsch, rüberreich. Bis sie seine Augen gesehen hatte. Er nahm den Teller, blickte darauf und sah sie nur an. Verzweifelt? Aber warum?
Sie fing an ihn zu beobachten. Er setzte sich mit seinem Essen immer an denselben Platz, nahm seine Gabel und stocherte in den wenigen unbedeckten Zonen herum. Was sollte das, war man in seinem Land so anspruchsvoll? Immerhin bekam er hier doch Asyl, da sollte er sich doch etwas dankbarer zeigen. Sie wurde wütend, wollte noch eindeutiger die Soße verteilen. Doch gerade, als sie am nächsten Tag die große Schöpfkelle hob, sah sie seinen flehentlichen Blick und ein fast unmerkliches Kopfschütteln. Keine Soße? Da hörte sie hinter sich schon die scharfe Stimme der Hubner. „Nun machen Sie schon, das dauert ja ewig, die warten doch!“
Sie kippte die dicke Soße mit ihren Stücken über die Nudeln und wandte sich dem nächsten zu. Und doch musste sie ihn später beobachten, wie er fast nichts zu sich nahm. Mager, wie der war, warum aß er denn nicht? Sein hageres Gesicht war nicht schön, die schwarzen Augen so fremd für sie.
Am nächsten Tag gab es wieder eine Versammlung: „Und nicht vergessen, Fleisch und Beilage gehören zusammen! Es geht hier schließlich um Integration; wir sind in Deutschland, hier wird gutes Schweinefleisch gegessen!“
Am nächsten Tag fing sie damit an. Sie schob den Reis und das Gemüse auf die eine Seite. Aus Erbsen baute sie einen kleinen Wall in der Mitte; schnell musste es gehen und auffallen durfte es nicht. Aber sie schaffte es: Jenseits des Erbsenwalls war der braune See mit seinen kleinen Schweineinseln. Unerreichbar. Sie reichte ihm seinen Teller und sah, wie seine Augen aufleuchteten.
Zum ersten Mal aß er sich satt in Deutschland.