Andreas 38

Manchmal sind es nur wenige Augenblicke, die alles verändern können. (Und manches hält sich hartnäckig über Jahre, ohne dass sich einer dafür interessiert).
Nina drehte sich um und sah ihn. Sah ihm in die Augen und wollte ihm in diesem Moment alles erklären; dass es ihr leid tue mit dem Schwert. Dass sie nicht mehr als Kommissarin arbeiten wolle … er machte noch einen Schritt auf sie zu. Wollte er sie in den Arm nehmen? Sie würde es wohl nie erfahren, denn dann ging alles zu schnell. Stimmen aus dem Gebüsch ertönten. „Halt, Polizei! Bleiben Sie stehen!“ Was er natürlich nicht tat. Sie stürzten sich von allen Seiten auf die beiden. Sie sankt verwirrt auf den Boden. Er sprang auf, über das Brückengeländer, seine Schuhe hinterließen hässliche Spuren im makellosen Sand; Schüsse ertönten. Und dann waren es nicht nur Spuren, sondern auch eine wachsende Blutlache, die den japanischen Garten veränderten. Schade irgendwie, war ein Gedanke, der ihr kurz durch den Kopf spukte. Kollegen führten sie weg. Alles wurde abgeriegelt. So endete eine nie dagewesene Reihe von Morden in der Hauptstadt. Über die Motive des Täters zirkulierten noch lange Zeit die wildesten Gerüchte.
Nina ging ein Jahr nach ihrer Psychotherapie nach Japan; sie soll dort in ein Zen-Kloster eingetreten sein.

Andreas schüttelte versonnen den Kopf, während er sich die rothaarige Kommissarin auf Strohmatten bei der Meditation vorstellte. Was etwas schwierig war. Aber es war Zeit gewesen, mit dem verrückten Samurai Schluss zu machen! Ein wenig Schadenfreude empfand er durchaus dabei, auch wenn er nun nichts mehr zu schreiben hätte. Oder wie wäre der absolut fantastische Arztroman? Mit Liebe, Intrigen und schmutzigen Szenen im OP? Da würde er sich aber noch fleißig umhören müssen, was im Krankenhaus alles so abging. Jedenfalls hatte er von seinem Krimi genug. Spannung Null. Erotik minimal. Und 100% Humorlosigkeit. Vielleicht sollte er ja doch bei seinen Grundschülern bleiben.
Und doch war er nicht unzufrieden. Denn über das Morden hatte er einiges gelernt: Der perfekte Mord war nicht sorgfältig geplant, nein. Er war ein Zufallsprodukt des Alltags, ohne Motiv, ohne Spuren. Andreas stand auf. Ging an den Kühlschrank, aber nein, er hatte ja keine Milch mehr, sonst hätte er sich jetzt eine heiße Milch mit Honig gemacht. Eigentlich konnte er mal nachfragen, ob seine reizende Nachbarin nicht ein Tässchen für ihn übrig hatte. Er nahm sich ein Küchenhandtuch mit, das sah auf jeden Fall hausmännlich aus. Und er würde keinen Türgriff berühren müssen. Er klingelte mit dem Zeigefinger im Tuch, als hätte er Routine darin. Sie öffnete schon wenige Sekunden danach; hatte nasse Haare und ein rotes, fröhliches Gesicht. „Ach, du bists!“, meinte sie nicht sonderlich erfreut. „Was gibts?“ „Ähm, Tschuldigung, ich wollte echt nicht stören, aber ich hab keinen Schluck Milch mehr in der Wohnung und wollte fragen, also … “ sie trat einfach beiseite, murmelte ein „Ja, klar“ und ging voran in die Küche. Sollte das denn so einfach sein? Sein Herz schlug immer schneller. Höhepunkt seiner Karriere? „Is nur H-Milch, geht die auch?“, hörte er zwar, aber eine Antwort formulierte er schon nicht mehr. Er nahm das blau-weiß karierte Küchenhandtuch in beide Hände, legte es ihr um den Hals, worauf sie natürlich schnell danach griff. Er aber zog zu, was ihre Aktivitäten von Sekunde zu Sekunde langsamer werden ließen. Erst ruderte sie so verzweifelt mit den Armen, dass sie dabei ein Marmeladenglas vom Kühlschrank fegte. Dann traten ihre Augen hervor und das Röcheln aus ihrem Mund wurde immer leiser. Sie rutschte auf den Küchenboden und auch da ließ er noch nicht los. Bis sie ganz still war und ihre aufgerissenen Augen irgendwie erstaunt zur Deckenlampe emporstarrten. Da zog er ihr das Tuch weg. Warf noch einen zögernden Blick auf die Milch. Und verließ ihre Wohnung, ohne etwas berührt zu haben.
Oben schloss er leise seine Tür und musste sich erst einmal zitternd dagegen lehnen. Er hatte es getan! Dann kam ein leises, irres Kichern über ihn. Überhaupt, Milch konnte er auch noch bei Pänny kaufen, die hatten bis zehn abends geöffnet!
Er warf das Handtuch in den Mülleimer.

2 Kommentare zu “Andreas 38”

  1. SuMuze
    Mai 5th, 2007 08:19
    1

    Hab‘ ich’s geahnt? Lehrer..

  2. Franziska
    Mai 5th, 2007 23:30
    2

    ;-)

    Da sag ich jetzt mal gar nix zu.