Tony 3
Morgens in Neukölln: Ich beobachte mal wieder. Da sind die Zur-Arbeit-Geher, die mit hektischen Blicken signalisieren, dass sie ein Ziel haben und wahnsinnig wichtig sind. Arme Würstchen. Am schlimmsten die mit Krawatte oder Stöckelschuhen. An der Leine, eingezwängt den ganzen Tag!
Dann gibt es die eiligen Behörden-Gänger. Sie sind schon weniger korrekt gekleidet, haben aber oft diesen angespannten Blick: Wird mir das Wohnamt diesmal den Zuschuss gewähren? Muss ich noch eine Kopie zur Bundesagentur schleppen?
Dann gibt es die Verdächtigen und Untätigen. Schulkinder und Jugendliche, die zu dieser Zeit nichts auf der Straße verloren haben. Alkoholisierte, die sich nur noch mit Mühe an ihrer Bierflasche festhalten.
Und natürlich die senilen Bettflüchter, die eilig zur Supermarktkasse drängen, um dort dann ihre Cents zu zählen. Damit das Leben irgendwo noch einen Sinn hat.
Dazwischen natürlich ganz normale Chaoten, die das Leben genießen oder hassen, je nach Tagesstimmung. Türkische Hausfrauen. Künstler. Und mich, der immer auf der Suche nach einem guten Schnappschuss ist.
Was mir aufgefallen ist: Die Deutschen hasten aneinander vorbei. Türken kommunizieren miteinander und man kann das unsichtbare soziale Netz ahnen, das sie viel mehr miteinander verbindet als uns Deutsche. Im türkischen Supermarkt kann der (türkische) Kunde auch mal anschreiben lassen, wenn er nicht genug Geld dabei hat. Bei meinem türkischen Friseur scheine ich der Einzige zu sein, der die dort üblichen zehn Euro rausrückt: Noch nie habe ich dort sonst jemanden bezahlen sehen, und mein Schein ist vielleicht ganz einsam in der Kasse! Als ich neulich nur zwanzig Euro dabei hatte, konnte man mir leider nicht rausgeben … Wenn die Polizei hier versucht, türkische Jugendliche festzunehmen, sind blitzschnell die Ladenbesitzer auf der Straße und sehen nach dem Rechten, nach dem Motto „Darf die Polizei das denn?“. Beneidenswert, von so einem Netz aufgefangen zu werden.
Zwischen Karl-Marx-Straße und Reuterstraße, so ein Stück nördlich von meiner U-Bahn-Station Rathaus Neukölln, da ist ein Durchgang, ein schmaler Weg. Ein kleines Stückchen Türkei. Abends sitzen die Ommas mit ihren Wasserpfeifen schwatzend zusammen. Die größeren Jungs spielen Fußball und die kleinen Kinder haben einen netten Spielplatz, auf dem sie ungestört Unfug treiben können. Denn die Ommas und Mammas (Anes) wollen ihre Ruhe. Neulich dort bei einer der kleinen Holzhütten gehört, von einer etwa Fünfjährigen: Komm, wir gehen jetzt da rein und machen Sex!
Freudige Erwartungshaltung bei den anderen Kleinen. Süße Kinderchen, unschuldige Neuköllner Spielchen …