Quasimodo in Berlin
Ein ganz normaler Freitagnachmittag in Kreuzberg (ups, ja, ich habe mich über Neuköllns Grenzen gewagt!). Am Urbanhafen, das ist der Landwehrkanal direkt hinterm Urbankrankenhaus, da räkelt sich das Volk auf der Wiese. Man ist froh über die Sonnenstrahlen, auch wenn man nicht gerade ins Schwitzen gerät. Pärchen knutschen; Kranke genießen die Luft in Hauspantoffeln und Bademantel, viele mit der obligatorischen Zigarette in der Hand. Türkische Großfamilien führen die Patienten der Familie aus, während sich ihre Kleinsten prügeln. Und durch das Gewimmel auf dem Spazierweg schlängeln sich blitzschnell noch die Fahrräder. Auch winzige Laufräder mit ihren zweijährigen Bezwingern sind schon schwankend dabei. Keiner beachtet sonderlich die anderen in diesem bunten Mix, keiner fällt auf. Keiner? Doch, einer. Ein einsamer Wanderer zwängt sich durch die Ansammlungen. Seine Füße seltsam nach außen verdreht, als könne er sie nicht richtig kontrollieren. Deshalb humpelt er, und das mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit. Allerdings im Zickzack, sodass es immer wieder Fast-Zusammenstöße gibt. Er gibt bedrohlich wirkende Grunzlaute von sich: ein riesiger Farbiger. Was mag mit ihm los sein? Misshandlung im Heimatland? Probleme von Geburt an? Die Spaziergänger weichen ihm erschreckt aus. Eine Mutter zerrt ihr Kind zurück. Eine Frau murrt zunächst, als sie von dem Hühnen fast überrannt wird. Dann beruhigt sie sich, nachdem ihre Begleiterin sie auf seine Behinderung hingewiesen hat. Da ich eine Weile hinter ihm gehe, (gehen muss, er ist fast zu schnell zum Überholen!), sehe ich die Augen der Entgegenkommenden: Entsetzen, Abscheu, Verwirrung.
Was würde passieren, wenn er jetzt hinfiele? Irgendeinen Anfall hätte? Wahrscheinlich würden auch dann noch alle versuchen, einen Sicherheitsabstand zu wahren. Wie damals beim Glöckner, geht mir durch den Kopf.
Ich schaffe es schließlich doch, ihn zu überholen.