Kürzestroman: Ein Augenblick

Er stand ziemlich schwer atmend vor ihrem Haus und musste warten, bis sich sein Herzschlag wieder normalisiert hatte – der Aufstieg war mühsamer gewesen als früher. Dann starrte er die Namenschilder an der Haustür an. Ihr Name. Es würde ganz einfach sein, er musste nur klingeln, hey, ach du bists, öh ja, ich wollte nur einen Augenblick, aber klar, komm rein. Sie würde ihm womöglich eine Tasse Tee anbieten; ihm dabei vielleicht unsichere Blicke zuwerfen. Er könnte noch einmal am Küchenfenster stehen und den Ausblick auf die roten Dächer und den See genießen. Sie würden über Belangloses reden, während er sie in Gedanken schon an sich zog, sie küsste und alles vergessen war. Er könnte es tun. Sie würde wieder lachen und ihre Hände auf seine Schultern legen wie früher. Das würde sie. Vielleicht.
Er warf noch einen Blick auf die Namenschilder und wandte sich dann wieder der Straße zu. Nein. Kein Abschied, kein Wiedersehen; keine Träume mehr. Wer hatte das immer zu ihm gesagt? Nur allein bist du stark. Er ging.

Ihm wurde kalt.

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