Keine Angst, es tut nicht weh
Denken Sie immer daran: Sie wollen nur unser Bestes. Also Schluss mit dem Murren. Ich weiß das, glauben Sie mir. Mein Name ist übrigens Otto. Otto Acht Fuffzehn. (Ich weiß, ein komischer zweiter Vorname, aber meine Mutter hatte damals diese Idee …)
Neulich auf dem Bürgeramt wurde es mir zum ersten Mal klar: Die tun was! Da wollte ich einen neuen Reisepass. Mit allem Schnickschnack! Fingerabdruck. Auge gescannt. Foto ohne Lächeln, von vorne, damit man mich auch in Amiland reinlässt. Und da fragten die mich doch glatt: Haben Sie denn auch schon eine S-Genehmigung?
S? S wie „Sonder-„? Ja. Das klingt doch richtig gut, finden Sie nicht? Bei meinem Handy ist es mir ja schon eine ganze Weile aufgefallen. Ausgabe „S“ stand da. Bitte nicht abschalten. Also lasse ich es natürlich an, schließlich dient das ja auch meiner eigenen Sicherheit.
Die Kameras in den Bahnen, Banken und über meinem Schreibtisch finde ich im Prinzip auch gut. Da kann mir nichts passieren. Und sie tun doch niemandem weh. Wer nichts zu verbergen hat, soll das gefälligst einsehen. Denn die Gefahr lauert schließlich überall. Von denen, Sie wissen schon.
Dass das Navigationssystem in meinem Wagen sich jetzt immer automatisch einschaltet, fand ich anfangs ulkig. Die sanfte Stimme leistet mir jetzt morgens auf dem Weg ins Büro Gesellschaft, da kann man nicht meckern. Ist doch auch beruhigend, finden Sie nicht? Zu wissen, dass da jemand ist, der mich beschützt. Ich bin nirgends allein. Gut.
Neulich erzählten mir meine Kinder begeistert von ihrem neuen Schulprojekt: „Öffne die Augen!“ Ja, toll, was? „Sehen und berichten“ heißt die Devise, und die beiden finden das echt cool. Sie bekommen kleine Kärtchen mit Bonuspunkten, wenn sie etwas Ungewöhnliches weiterleiten. Etwas Andersartiges, Fremdartiges eben. Die Idee stammt übrigens von dem neuen Lehrer, meinten sie. Na also, geht doch! Meine Rede: Es tut sich was.
Jetzt bin ich doch mal gespannt, ob ich die Sonderkarte kriege. Die bekommt nämlich nicht jeder, nö, da muss man schon was Besseres sein. Einsatz zeigen! Ich habe einen kleinen, nicht belastenden Bericht über meine Nachbarn geschrieben, weiter wollten die nichts von mir. Und überhaupt: Meine Nachbarn sind selber schuld, wenn man sie auf dem Kieker hat!
Ach, wo wir gerade dabei sind: Was haben Sie eigentlich gestern Abend gemacht? War nicht abgemacht, dass der Rechner angeschaltet bleibt? Was sollen die Heimlichkeiten? Ich kann hier alles sehen, müssen Sie wissen. Nur so als kleine Warnung. Ist schließlich auch gut für Sie.