Andreas 26

An diesem Tag war Andreas besonders bekümmert. Nicht nur, dass ihn die Osterferien langsam langweilten (es machte wohl doch auch etwas Spaß, die lieben Kleinen zu quälen), nein, er hatte auch das Gefühl, an seine persönlichen Grenzen zu stoßen. Denn es gab eine Zutat für den perfekten Krimi, die ihm wirklich Sorgen bereitete, eine Zutat, die Millionen von Lesern liebten, unverständlicherweise: der Humor. Er sah sich ratlos in seiner Wohnung um. Ordentliches Bücherregal. Nippes von Mama, das er nach ihrem letzten Besuch (wie lange war das jetzt schon her?) vergessen hatte, wieder beiseite zu schaffen. Sein Schreibtisch überhäuft mit noch zu korrigierenden Texten und Übungsblättern, die er sich über die Feiertage runtergeladen hatte. Wo kriegt man Humor her?, fragte er sich verkrampft. Na gut, die schwedischen Krimis waren auch nicht übermäßig spaßig und doch erfolgreich. Trübe Ausblicke auf die einsame Winterlandschaft um gewisse Orte, die jetzt schon Touristenattraktionen waren, nur weil Kommissar Wallander dort gewandelt sein sollte. Dröge Häuserzeilen und verweifelte Einzelschicksale – nein. Die englischen Autoren, ja, die hattens schon besser drauf. Überraschende Entwicklungen, ironische Beschreibungen selbst der Opfer, ein schwuler Pathologe, der dem unangepassten Kommissar gerne näher kommen würde … wie lernte man das? Ach ja, auch sein Problem mit der Annäherung Kommissarin – Mörder war noch nicht gelöst.

Noch immer war die junge Kommissarin in dem japanischen Garten. Langsam war sie auf die kleine Holzbrücke gewandert und lehnte sich nun an das verzierte Geländer, um auf die Nachbildung eines buddhistischen Tempels zu blicken. Er war die ganze Zeit hinter ihr geblieben, das konnte sie spüren. Wie hatte sie ihn eigentlich gefunden? Oder war er es, der sie aufgespürt hatte? Es war klar gewesen, dass der Treffpunkt hier sein würde.
Sie schloss die Augen und ihre Hände umschlossen noch fester die starken Holzstäbe, als würde sie sonst den Boden unter den Füßen verlieren. Er trat direkt hinter sie und konnte den Hauch ihrer Haare riechen. Wie konnte jemand eine solch rote Mähne haben? Fast berührte er sie, aber nur fast. Sie zuckte zusammen, als sie seine Stimme vernahm, die tiefer klang, als sie es erwartet hätte.
„Man muss früh am Morgen hierher kommen, da ist es völlig leer. Nur ein einzelner Gärtner zieht die Linien im Sandgarten nach.“ Sie erschauerte mit einem Mal und wusste nicht warum. Und sie hatte alle Lust verloren, diesen Menschen der Staatsgewalt zu übergeben. „Kommen Sie oft hierher?“, wagte sie es schließlich, das Wort an ihn zu richten. Er aber schwieg nur, und als sie nach etlichen Minuten endlich den Mut hatte, sich umzudrehen und ihm in die Augen zu blicken – da war er verschwunden.

Andreas fühlte sich ganz plötzlich ganz einsam. Warum gab es eigentlich niemanden, der ihn verstand? Außer seiner Mutter natürlich. Ja, er würde der jungen Frau unten im Haus (N. Müller?) einen Brief schreiben! Er würde über das Missverständnis neulich im Hof sprechen. Und über den Frühling, über die japanische Zierkirsche hinter ihrem Haus, über all die Blüten und Bienen … Was ihn wieder an seinen Heuschnupfen erinnerte und an seine Tropfen. Er ging ins Bad. Rote Augen, rote Nase. Mist.

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