Archiv für September 2007

Kalte Ohren und müde Füße – oder umgekehrt

Mittwoch, 12. September 2007

Aus lauter Jux und Dollerei schnappe ich mir heute meine lieben Italiener und mache eine Schiffchenfahrt auf der Spree. „Auf der rechten Seite sehen Sie jetzt …“ ist amüsant und ich lausche zunächst eifrig. Wenn ich nicht immer mehr in mich hineinschrumpfen würde vor lauter Kälte und Fahrtwind und mein Blick nach einer Stunde wohl auch immer glasiger würde. Der Himmel ist grau bedeckt und einzelne Tropfen treffen mich. Frechheit. Meine Hände werden immer kälter, aber ich bleibe eisern oben an Deck, nur Weicheier setzen sich schließlich unten rein, ha! Nach einer Weile wäre ich gern ein Weichei, aber ich bin so steifgefroren, dass ich den Weg unter Deck nicht schaffe. Außerdem muss ich ja die ziemlich genuschelten Kommentare des launigen Sprechers übersetzen.
Das Bibbern lässt auf der anschließenden Wanderung die Spree entlang nach; jetzt beginnt das Niesen. Ständiges Italienisch untermalt den Anblick von Reichstag, Brandenburger Tor, Pariser Platz (ach ja, am 22. ist da Demo, nicht vergessen!). Toilettenpause in einem sehr kulturellen Gebäude, dessen Toiletten ausdrücklich nicht öffentlich sind. Mir egal. Einige haben sich in der Nähe heiße Getränke besorgt und wollen die elegante Halle am liebsten gar nicht mehr verlassen. Es sitzt sich aber auch wirklich gut hier. Wir verlassen das Gebäude schließlich zum Hinterausgang und landen bei den Mahnmal-Stelen, immer wieder beeindruckend. Ich schärfe meinen Schützlingen vorher ein, nicht Verstecken zu spielen oder wilde Lieder zu singen. Sie bleiben dann auch (fast) brav, nur einer macht kurze Turn- und Springversuche. Ein kurzes Kopfschütteln meinerseits lässt ihn sofort absteigen (wow).
Viele viele Stunden später bin ich auf der Heimfahrt und gönne mir noch schnell einen heißen Kakao aus dem Automaten. Heute nix mit Eis! Zu Hause muss ich dann erstmal unter der Lieblingskuscheldecke wieder auftauen und die müden Knochen erholen …

Und manche machen sowas jeden Tag! Uff.

Und heute: Die Oranienburger runter!

Dienstag, 11. September 2007

Wenn man sich an einem beliebigen elften September ganz doll langweilt, kann man sich ja mal eben zwanzig Italiener unter den Arm klemmen und die Oranienburger Straße erkunden. Nehmen wir also, damit die Optik stimmt, eine muntere Gruppe mit Achtzehnjährigen und gehen als Erstes ins Tacheles. Was, noch nicht dagewesen? Hier kommt eine sonst fast ausgestorbene Szenestimmung auf, Hausbesetzertreppenhaus trifft auf Hippiehinterhof mit Lagerfeuer und Rockmusik. Wir steigen die Treppen hoch und mein Grüppchen wirft zweifelnde Blicke umher. Will sie uns das hier wirklich zeigen? Aber es gefällt ihnen! Verschrobene Galerien hoffen auf einen kleinen Verkauf, während die lautstark Italienisch blubbernde Gruppe überall Fotos schießt und aus dem Fenster schaut. Nun denn, erstes Ausflugsziel zufriedenstellend.
Wir schlappen die Straße weiter; noch sind keine der dort nächtens aktiven Damen zu sehen, schade irgendwie. Ich finde deren Klamotten immer so schön schrill, außerdem gehören sie einfach zum Ambiente. Dafür werfen alle ein paar ehrfürchtige Blicke auf das alte und unglaublich mächtige Postfuhramt. Meine Güte, ist das aber auch groß. Vorbei an der wunderschönen Synagoge, wieder einmal von Touristen belagert. Ein paar Polizisten stehen auch rum, wie üblich. Weiter. Den Monbijoupark lassen wir einfach mal rechts liegen, ist ja nun nicht soo spannend. Dafür aber die Hackeschen Höfe! Bevor alle schon etwas ermüdeten Gestalten in die Gegend spritzen können, machen wir eine Zeit aus; und schon düsen sie los. Und es lohnt sich, die Winkel dieser restaurierten Höfe zu bekucken, auch wenn man sich etwas mühsam an den ältlichen Bayerinnen und staunenden Japanern vorbeischieben muss. Andenkenläden mit Ampelmännchen bieten sogar Nudeln in Ampelmännchenform an, das ist doch was!
Ich gönne mir statt eines überteuerten T-Shirts lieber ein überteuertes Eis mit Schokoladensoße, die erst heiß ist und dann neben dem Eis erstarrt, dermaßen köstlich, dass ich meine lieben Italiener leider vernachlässigen muss. Andächtiges Löffeln. Karamel, Vanille, Keksstückchen, diese Soße … was, ihr wollt nicht noch mehr davon hören? Tschuldigung. Nachdem wir nur fünfzehn Minuten auf die zwei Letzten warten mussten, gehts weiter an unglaublich schicken, teuren, schönen Geschäften und Restaurants vorbei zum Alex. Ein italienischer Jüngling meint, das sei ja wohl die absolut schönste Gegend von Berlin, warum man ihm das bisher vorenthalten habe! Nun. Ja. Ich grinse nur. Seit fünf Tagen sind sie nun in Berlin; Recht hat er!
Unter der Kugel des Fernsehturms (dicke Klumpenwolken mit Sonne und blauem Himmel dahinter) trennen sich schließlich unsere Wege. Die meisten nehmen den Bus 100 und ziehen sich noch eine Portion Unter den Linden rein. Ich aber fahre zufrieden heim nach Neukölln zur wohlverdienten Kartoffelsuppe. Ganz unschick, aber lecker.

Kindersprache

Montag, 03. September 2007

Es ist früher Abend, ich sitze in der Ringbahn und genieße den leuchtenden Himmel überm Flughafen, als eine kleine Familie zusteigt: Mama und zwei Kinder, etwa vier oder fünf Jahre alt. Die Mutter spricht sanft mit ihren Kleinen; sie hat kurzes braunes Haar und kluge Augen. Die Kinder sind umso lebhafter, sie blubbern und plappern in einem fort, und ich bin hingerissen. Wo erlebt man noch so viel Munterkeit in dieser drögen Welt? Gut, dass sich keiner beschwert, wäre ja in einer Berliner S-Bahn nicht verwunderlich.
Die Sprache der Kleinen verstehe ich nicht. Mal denke ich, es ist was Skandinavisches. Mal scheint es mir eine slawische Sprache zu sein. Oder doch was ganz anderes? Der Gesamteindruck: Ihre Worte sprühen vor Energie und Wissbegier, sie diskutieren und fragen und lachen, dass es eine Freude ist. Solche Kinder braucht das Land!

Beim Aussteigen muss ich dann einfach die junge Mutter ansprechen. Welche Sprache das sei? Russisch, meint sie! Na so was. Da habe ich schon so viel Russisch gehört in dieser Stadt, und noch nie so toll. „Süße Sprache!“, rutscht es mir raus, und sie lacht nur: Ja wenn die Kinder sprechen, dann ist das so! Recht hat sie. Jedenfalls in ihrem Fall.

Junger Mann!

Montag, 03. September 2007

Die Welt ist schon ein Jammertal. Zumindest, wenn man frühmorgens die Neuköllner Karl-Marx-Straße entlangstapfen muss. Montagmorgen auch noch! Es gießt und die Schüler schleichen geduckt zu ihrer Bildungsinstitution. Die erwachsene Welt scheint diese dauerhafte Finstermiene aufgesetzt zu haben: Komm mir nicht zu nah, sonst kriegste eins in die … Urgemütlich. Die Autos fahren mit bösartigem Schwung in alle Pfützen und wollen den Fußgängern bestimmt eins auswischen. Der Zehnjährige neben mir will sowieso wieder ins Bett, wieso in die grausame Schule, wenn man Schnupfen und Bauchschmerzen hat? Hat ja irgendwie Recht, der Arme, aber das wäre dann an 200 Tagen im Jahr so!
Wer sich Montagmorgen noch vor acht dann auch noch in einen Supermarkt wagt, der erlebt diese Stimmung nochmal hoch zehn. Es ist kaum möglich, den Einkaufswagen an den ganzen Stapeln vorbeizulenken, die jetzt ausgepackt werden. Die Verkäuferinnen sind extrem muffig, ich frage lieber nichts und nehme nur schnell die kleinen Tomaten von der Palette. Zwei Arbeiter in blauen Latzhosen unterhalten sich düster über Hartz IV; türkische Hausfrauen besetzen die Gänge. Nee, ich will hier raus! Bis diese eine hektische Verkäuferin an die Kasse gerufen wird, offensichtlich dringend, sie keift ein wütendes „Jaaa!“ zurück und rast hin. Ein Kunde zickt wohl rum. Er hat es gewagt, seinen Pappkarton aufs Band an der Kasse zu stellen. Dann höre ich seine Stimme: „Und was soll das überhaupt mit ‚junger Mann‘, ich sage ja auch nicht ‚Baby‘ zu Ihnen!“. Die Verkäuferin macht ihm daraufhin klar, dass sie das nicht stören würde. Er dreht jetzt richtig durch und schreit seine Wut in den Laden, wieso die Berliner immer ‚junger Mann‘ sagen, das sei eine Frechheit, und und … er ist wahrhaftig kein junger Mann; rundlich, um die Fünfzig, mit Schnurrbart und extrem distinguierten Hochdeutsch, das er so wohl nicht zu Hause anwendet. Distanz durch Sprache, kennwa doch.
Mit einem Mal ist meine Stimmung besser. Klar hat er Recht. Ich zucke auch immer zusammen, wenn eine energische Stimme von irgendwo ertönt: „Junge Frau, so geht das aber nicht!“ Denn jede könnte damit gemeint sein. Vor allem Beamte und Verkäuferinnen versuchen auf diese Weise, ihre Umwelt zu erziehen. Ganz krass finde ich ja auch, wie manche ihre Köter rufen – sorry, ich mag eigentlich Hunde, aber was zu viel ist … – „Junge Dame“ (oder womöglich „Fräulein“), „was soll das denn, was machst du denn da, kommst du jetzt sofort her!“. Zum Hund, lange Reden hier auf unserer Straße. Toll.
Aber warum ist meine Stimmung plötzlich besser – nur, weil sich ein Kunde aufgeregt hat? Nein. Weil er das ganze Übel auf sich genommen hat, wie Jesus irgendwie, jetzt verstehe ich das alles besser mit der Sünde der Welt und so. Der Mann im Supermarkt hat sich ausgekotzt, also muss ich es nicht mehr tun. Im Gegenteil, ich kann gelassen denken, worüber sich manche Leute aufregen, ach nee, so ist das nun mal in Berlin, ist doch nicht bös gemeint … und verflogen ist meine Miesepetrigkeit. Ich kriege an der Kasse auch keinen Schreikrampf, als ich den Preis der völlig überteuerten Cocktailtomaten sehe, das kommt davon, wenn man was von der Palette zieht, na da haben wir eben wundervolle Vitamine für das Kind …

Unterwegs der Regen macht mir nichts mehr aus. Mein gemütlicher Schreibtisch erwartet mich, und ich kann köstlichen tunesischen Pfefferminztee schlürfen, während die Welt sich verzweifelt gegen den Montagmorgen sträubt. Macht mir gar nix!

Septemberanfang

Samstag, 01. September 2007

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Es ist kühl. Es ist grau. Na da kommt Stimmung auf …