Tony 7

Sonntag, 13. Mai 2007 12:19

Während ich heute in meinem Neuköllner Loft meine ersten Qi-Gong-Übungen des Tages absolviere, ruft ein völlig entnervter Andreas an. Eine Katastrophe! Er wisse nicht mehr aus noch ein! Mürrisch beruhige ich ihn und kann schließlich den Grund seiner Verzweiflung rauskriegen. Nein, die Polizei ist ihm noch nicht auf die Schliche gekommen. Und keiner hat seinen Roman verrissen, denn keiner hat den Ramsch gelesen. Nö, er hat einfach den Muttertag vergessen! Ich bezweifle zwar, dass das seine greise Mutter zur Kenntnis nimmt, empfehle ihm aber einen locker-flockigen Anruf, just in case: Vielleicht hat sie ja gerade heute ihren klaren Tag und wird ihm sonst für den Rest des Jahres gram sein?
Bin ich froh, dass ich allein bin. Dachte ich und wandte mich meinem Bett zu, in dem noch eine mir namentlich unbekannte Nixe schlummerte. Vielleicht muss die ja auch noch an ihre Mutter denken?

Tony 6

Samstag, 12. Mai 2007 13:15

Manche in meinem Bekanntenkreis meinen, ich erscheine wie ein grimmiger Geist, wenn ich so in meinem langen, schwarzen Ledermantel die Straßen Neuköllns durchwandere. Alles Quatsch. Ich bin kein Geist. Sie können mich alle sehen, das ist doch schon Beweis genug. Und wenn sie mich sehen und dabei ganz zufällig an den Mist denken, den sie gerade bauen, dann solls mir recht sein.
Gestern U 9, Bundesplatz: Wieder einer dieser Fahrgäste, die die U-Bahn nur rauchend erwarten können. Manche werfen ihre Zigarette wirklich erst im letzten Moment in den Mülleimer, als würden sie an ihrem Glimmstängel festkleben. Immer wieder fangen dann die Mülleimer an zu rauchen, weil brennende Zigaretten und alte Zeitungen eine ungute Verbindung eingehen. Für einige ist der Gestank dann so beängstigend, dass sie sich nicht auf den Bahnsteig wagen. Gestern aber: Die U-Bahn fährt ein, Ansage, Leute strömen, der Typ will die Zigarette wegwerfen – und schafft es nicht. Ein paar bleiben kurz stehen, um das Schauspiel zu beobachten: Ein Mensch, der wie wild mit der Hand in der Luft herumfuchtelt, zu schreien anfängt, zu hopsen, aber die Zigarette löst sich nicht von seiner Hand! Dann steigen auch die letzten bedauernd ein; schade, sie hätten gerne noch eine Weile dieser interessanten Vorführung zugesehen, wofür der wohl werben wollte? Auch ich fahre mit leisem Bedauern weiter, „zurückbleiben bitte!“.

Tony 5

Donnerstag, 10. Mai 2007 18:54

Es gibt Menschen, denen es eine grimmige Freude bereitet, andere zu quälen. Keine Ahnung warum. Heute in der Ringbahn zum Beispiel: Der Typ dreht seine Beschallung lauter. Und noch lauter. Bis wirklich alle wissen, dass er ein Freund von Technomusik ist. Man mag ja in solchen Momenten entzückt die Augen schließen und an die letzte Techno-Party auf Bali denken, 48 Stunden durchgetanzt, wenn einem sowas gefällt. Mir nicht. Ich sehe ihn an, ohne dass er mich bemerkt. Und was passiert? Sein süffisantes Dauergrinsen verschwindet. Stattdessen verzieht sich sein Gesicht immer schmerzhafter. Er reißt die Kopfhörer von den Ohren, schreit laut auf. Trampelt verzweifelt auf seiner Musikquelle herum und stürzt beim nächsten Halt aus der S-Bahn. Die anderen Fahrgäste sehen ihm nach, nicht unbedingt mit Bedauern. Und auf allen Gesichtern breitet sich ein kleines, zufriedenes Lächeln aus. Ruhe.

Tony 4

Mittwoch, 09. Mai 2007 17:45

Neukölln, ja Berlin hat etwas ganz Besonderes. Grüne Oasen, an denen Tiere leben, die man sonst nicht sieht. Es ist ruhig dort und keine Hunde hinterlassen ihre Berge. Keine Kinder schreien, keine Leute keifen (normalerweise), und die Luft ist so frisch gefiltert, dass man sich den Österreichurlaub sparen kann: Ich rede von den Friedhöfen. Hier in der Gegend kenne ich fast alle, aber natürlich habe ich meine Lieblingsecken. Ungestört kann ich da meinen Tai-Qi-Übungen nachgehen; Fotos von seltsamen Gräbern machen. Und den Toten zeigen, dass jemand über sie wacht, muss ja schließlich einer machen. Heute: Zwei Jugendliche, die mit extrem verdächtigen Bewegungen und Blicken zwischen den Grabsteinen herumhuschen. Sie sehen mich – und verdünnisieren sich panisch. Doch gut, dass ich immer schwarz gekleidet bin, nicht sonderlich klein und nicht sonderlich rasiert. Die zwei reagieren so ängstlich, dass ich mich doch frage, was sie angestellt haben oder was sie vorhatten. Sie bekommen einen langen Blick von mir hinterher geschickt, und plötzlich fangen sie an zu rennen. Man könnte meinen, beide hätten mit einem Mal Durchfall bekommen und müssten nun fluchtartig den Friedhof verlassen. Schade aber auch.
Ich beobachte noch ein Eichhörnchen, das sich nicht von mir stören lässt. In den letzten Jahrzehnten habe ich ehrlich gesagt schon viele Länder bereist – in Nicaragua drei Jahre rumgezogen, Kenia, Namibia immer wieder, China zwei Jahre, Japan fünf Jahre … aber die Neuköllner Friedhöfe sind einmalig. Vor allem die Eichhörnchen.

Heute Abend mal wieder Schachabend mit Andreas. Bin schon gespannt, was der wieder zu erzählen hat. Bier und Chips warten schon.

Sprachberatung: Des Mannes – des Kollegen?

Mittwoch, 09. Mai 2007 14:24

D. aus Nepal möchte wissen, warum manche Wörter im Genitiv kein „s“ am Ende haben, obwohl sie maskulin sind.

Es gibt eine Gruppe von maskulinen Nomen, die zur sogenannten n-Deklination gehören. All diese Nomen haben im Akkusativ, Dativ und Genitiv ein „n“ oder „en“ am Ende.

Beispiele:
Der Affe, der Bauer, der Herr, der Elefant, der Demonstrant,
der Produzent, der Biologe, der Automat …

Anwendung:
Ich fotografiere den Affen.
Ich spreche mit dem Affen.
Ich suche den Namen des Affen.
Aber:
Wo ist der Affe? (Nominativ)

Tony 3

Mittwoch, 09. Mai 2007 10:17

Morgens in Neukölln: Ich beobachte mal wieder. Da sind die Zur-Arbeit-Geher, die mit hektischen Blicken signalisieren, dass sie ein Ziel haben und wahnsinnig wichtig sind. Arme Würstchen. Am schlimmsten die mit Krawatte oder Stöckelschuhen. An der Leine, eingezwängt den ganzen Tag!
Dann gibt es die eiligen Behörden-Gänger. Sie sind schon weniger korrekt gekleidet, haben aber oft diesen angespannten Blick: Wird mir das Wohnamt diesmal den Zuschuss gewähren? Muss ich noch eine Kopie zur Bundesagentur schleppen?
Dann gibt es die Verdächtigen und Untätigen. Schulkinder und Jugendliche, die zu dieser Zeit nichts auf der Straße verloren haben. Alkoholisierte, die sich nur noch mit Mühe an ihrer Bierflasche festhalten.
Und natürlich die senilen Bettflüchter, die eilig zur Supermarktkasse drängen, um dort dann ihre Cents zu zählen. Damit das Leben irgendwo noch einen Sinn hat.
Dazwischen natürlich ganz normale Chaoten, die das Leben genießen oder hassen, je nach Tagesstimmung. Türkische Hausfrauen. Künstler. Und mich, der immer auf der Suche nach einem guten Schnappschuss ist.
Was mir aufgefallen ist: Die Deutschen hasten aneinander vorbei. Türken kommunizieren miteinander und man kann das unsichtbare soziale Netz ahnen, das sie viel mehr miteinander verbindet als uns Deutsche. Im türkischen Supermarkt kann der (türkische) Kunde auch mal anschreiben lassen, wenn er nicht genug Geld dabei hat. Bei meinem türkischen Friseur scheine ich der Einzige zu sein, der die dort üblichen zehn Euro rausrückt: Noch nie habe ich dort sonst jemanden bezahlen sehen, und mein Schein ist vielleicht ganz einsam in der Kasse! Als ich neulich nur zwanzig Euro dabei hatte, konnte man mir leider nicht rausgeben … Wenn die Polizei hier versucht, türkische Jugendliche festzunehmen, sind blitzschnell die Ladenbesitzer auf der Straße und sehen nach dem Rechten, nach dem Motto „Darf die Polizei das denn?“. Beneidenswert, von so einem Netz aufgefangen zu werden.
Zwischen Karl-Marx-Straße und Reuterstraße, so ein Stück nördlich von meiner U-Bahn-Station Rathaus Neukölln, da ist ein Durchgang, ein schmaler Weg. Ein kleines Stückchen Türkei. Abends sitzen die Ommas mit ihren Wasserpfeifen schwatzend zusammen. Die größeren Jungs spielen Fußball und die kleinen Kinder haben einen netten Spielplatz, auf dem sie ungestört Unfug treiben können. Denn die Ommas und Mammas (Anes) wollen ihre Ruhe. Neulich dort bei einer der kleinen Holzhütten gehört, von einer etwa Fünfjährigen: Komm, wir gehen jetzt da rein und machen Sex!
Freudige Erwartungshaltung bei den anderen Kleinen. Süße Kinderchen, unschuldige Neuköllner Spielchen …