Tony 1 (Beginn der unglaublich spannenden und ereignisreichen Neuköllnsaga)

Sonntag, 06. Mai 2007 12:21

Tach. Bäumler beim Name, Tony Bäumler. Eigentlich heiße ich ja Antonius, weil meine Eltern damals vor fünfzig Jahren plötzlich so einen katholischen Heiligenrappel bekommen haben und ihr Kind dafür strafen wollten. Na ja, hat sich inzwischen auch wieder gelegt, der Rappel jedenfalls. Die Strafe weniger.
Jedenfalls soll ich hier manchmal schreiben, weil ich so viel in Neukölln und Berlin rumkomme, meint Franziska. Okay, kann ich machen. Außerdem behauptet sie, ich hätte sowas wie das zweite Gesicht und könne in Menschen sehen. Ist zwar Quatsch, klingt aber gut. Richtig ist, dass ich manchmal Dinge merke, die andere nicht zur Kenntnis nehmen. Kann ich aber nichts für.
Was gibts sonst noch zu sagen über mich? Einmal pro Woche spiele ich Schach mit einem alten Bekannten, Andreas heißt der. Der ist vielleicht ne Type! Manchmal schweigen wir uns einfach nur drei Stunden an, auch recht. Manchmal aber erzählt der Sachen, da haut es einen aus den Socken. Gestern zum Beispiel: Ausnahmsweise gönnte er sich auch ein Bierchen bei mir, was ja schon ein Weltwunder an sich ist. Und dann legte er los, mit gelöster Zunge sozusagen. Er habe seine Nachbarin erdrosselt und sowas. Völliger Irrsinn! Und jetzt sei er gespannt, wie die Polizei ermittle und ob er das wiederholen könne. Ja gut, er ist eben ein Spinner, aber harmlos.
Übrigens: Ich fotografiere. Ich will nicht sagen, dass ich Fotograf bin, das klingt schon so hochtrabend. Meinen Alltag verbringe ich einfach damit, durch die Straßen hier zu streifen und Fotos zu machen. Situationen festzuhalten. Ein paar davon kann ich sogar verkaufen, sodass ich mich nicht immer nur von Wasser und Fladenbrot ernähren muss.
Also dann – bis demnächst!

Sprachberatung: Der Deutsche – die Deutsche

Sonntag, 06. Mai 2007 12:02

Maryam aus Tunesien will wissen: Warum gibt es in Deutschland keine Deutscherin? Wie „Engländerin“ zum Beispiel.

Liebe Maryam, das ist komisch mit den Deutschen: Ihre Nationalität leitet sich vom Adjektiv „deutsch“ ab, darum ändern sich die Endungen anders als bei anderen Nationalitäten.
Der Franzose – die Französin.
Der Tunesier – die Tunesierin.
Schön.

Beim Deutschen ist es aber so, als ob noch ein Nomen hinterher käme. Darum sagen wir:
Der Deutsche – die Deutsche.
Ein Deutscher – eine Deutsche.
Plural: Deutsche – die Deutschen – alle Deutschen.

Alles klar? Tschüs!

Franziska

Sprachberatung!

Samstag, 05. Mai 2007 23:06

Habt ihr Fragen zu Deutschproblemen, zu den Geheimnissen von Relativsätzen, Konjunktiv oder einer kleinen Partizipialkonstruktion? Habt ihr eine ganz spezielle Frage zu euren Hausaufgaben? Damit meine ich nicht, dass ich sie für euch erledige, nein. Aber wenn ihr solche Probleme habt, könnte ihr mich fragen.
Vielleicht gibt es sogar Hilfe … hier!
Das gilt natürlich vor allem für meine lieben Schüler von Eurasia!

franziska-zu-hause.jpgFranziska

Andreas 40

Samstag, 05. Mai 2007 22:57

Tage vergingen. Bei jedem ungewöhnlichen Geräusch spitzte Andreas nervös die Ohren. Tat sich etwas im Treppenhaus? Hatte man sie endlich gefunden? Das ganz große Geschrei musste er dann wohl doch verpasst haben, schade eigentlich. Aber ab und zu musste er auch arbeiten. Jedenfalls war es Dienstag; die Stadt hatte sich wieder abgekühlt und die Leute im Supermarkt sprachen von Regen. Andreas saß an seinem Schreibtisch, als es an der Tür klingelte. Er sprang auf! Wie oft hatte er sich diese Szene ausgemalt. Er ging an die Tür. „Ja, bitte?“ „Entschuldigen Sie bitte die Störung. Wir sind von der Polizei und hätten da ein paar Fragen!“ Er öffnete zögerlich und blickte fragend, mit schüchterner Unschuldsmiene, zwei uniformierten Polizeibeamten entgegen. Aha, ging es ihm durch den Kopf. Kein Kommissar oder womöglich eine Kommissarin. Wobei er fast gegrinst hätte. Aber er hatte sich gut im Griff. Überhaupt verlief das Gespräch genau so, wie er es sich ausgemalt hatte. Wann er Noemi zuletzt gesehen hatte, wollten die wissen. Ob er etwas Ungewöhnliches gehört oder gesehen hätte. Ob er etwas über ihren Bekanntenkreis wüsste … er spielte seine Rolle als ahnungsloser und bekümmerter Nachbar großartig. Fand er jedenfalls. Als sie gingen, hatte er fast das Gefühl, sie wollten ihn bedauern. Eine Weile noch lauschte er ihren Schritten im Treppenhaus nach. Dann ging er in die Küche. Nahm sich sein Fläschchen aus dem Kühlschrank und setzte sich dann in seinen Lieblingssessel am Fenster. Nach einem tiefen Zug aus der Flasche (!) blickte er aus dem Fenster und wusste: Dies war der Beginn eines neuen Lebens. Er lächelte.

ENDE

Andreas 39

Samstag, 05. Mai 2007 22:40

Am nächsten Tag – wieder einmal stand der samstägliche Einkauf an – ging Andreas sehr langsam durchs Treppenhaus. Gut, dass niemand ihn dabei beobachtete, denn man hätte sich wohl gewundert. Kurz blieb er vor ihrer Wohnungstür stehen und lauschte. Stille. Totenstille. Niemand ahnt, dass da eine Leiche auf dem Küchenboden liegt, dachte er zufrieden. Mit Augen, die immerzu an die Decke starrten.
Dann verließ er das Haus. Heute nicht vergessen: Brot. Kartoffeln. Und vielleicht doch mal wieder ein Fläschchen Radler; war gar nicht so übel neulich.

Andreas 38

Freitag, 04. Mai 2007 23:27

Manchmal sind es nur wenige Augenblicke, die alles verändern können. (Und manches hält sich hartnäckig über Jahre, ohne dass sich einer dafür interessiert).
Nina drehte sich um und sah ihn. Sah ihm in die Augen und wollte ihm in diesem Moment alles erklären; dass es ihr leid tue mit dem Schwert. Dass sie nicht mehr als Kommissarin arbeiten wolle … er machte noch einen Schritt auf sie zu. Wollte er sie in den Arm nehmen? Sie würde es wohl nie erfahren, denn dann ging alles zu schnell. Stimmen aus dem Gebüsch ertönten. „Halt, Polizei! Bleiben Sie stehen!“ Was er natürlich nicht tat. Sie stürzten sich von allen Seiten auf die beiden. Sie sankt verwirrt auf den Boden. Er sprang auf, über das Brückengeländer, seine Schuhe hinterließen hässliche Spuren im makellosen Sand; Schüsse ertönten. Und dann waren es nicht nur Spuren, sondern auch eine wachsende Blutlache, die den japanischen Garten veränderten. Schade irgendwie, war ein Gedanke, der ihr kurz durch den Kopf spukte. Kollegen führten sie weg. Alles wurde abgeriegelt. So endete eine nie dagewesene Reihe von Morden in der Hauptstadt. Über die Motive des Täters zirkulierten noch lange Zeit die wildesten Gerüchte.
Nina ging ein Jahr nach ihrer Psychotherapie nach Japan; sie soll dort in ein Zen-Kloster eingetreten sein.

Andreas schüttelte versonnen den Kopf, während er sich die rothaarige Kommissarin auf Strohmatten bei der Meditation vorstellte. Was etwas schwierig war. Aber es war Zeit gewesen, mit dem verrückten Samurai Schluss zu machen! Ein wenig Schadenfreude empfand er durchaus dabei, auch wenn er nun nichts mehr zu schreiben hätte. Oder wie wäre der absolut fantastische Arztroman? Mit Liebe, Intrigen und schmutzigen Szenen im OP? Da würde er sich aber noch fleißig umhören müssen, was im Krankenhaus alles so abging. Jedenfalls hatte er von seinem Krimi genug. Spannung Null. Erotik minimal. Und 100% Humorlosigkeit. Vielleicht sollte er ja doch bei seinen Grundschülern bleiben.
Und doch war er nicht unzufrieden. Denn über das Morden hatte er einiges gelernt: Der perfekte Mord war nicht sorgfältig geplant, nein. Er war ein Zufallsprodukt des Alltags, ohne Motiv, ohne Spuren. Andreas stand auf. Ging an den Kühlschrank, aber nein, er hatte ja keine Milch mehr, sonst hätte er sich jetzt eine heiße Milch mit Honig gemacht. Eigentlich konnte er mal nachfragen, ob seine reizende Nachbarin nicht ein Tässchen für ihn übrig hatte. Er nahm sich ein Küchenhandtuch mit, das sah auf jeden Fall hausmännlich aus. Und er würde keinen Türgriff berühren müssen. Er klingelte mit dem Zeigefinger im Tuch, als hätte er Routine darin. Sie öffnete schon wenige Sekunden danach; hatte nasse Haare und ein rotes, fröhliches Gesicht. „Ach, du bists!“, meinte sie nicht sonderlich erfreut. „Was gibts?“ „Ähm, Tschuldigung, ich wollte echt nicht stören, aber ich hab keinen Schluck Milch mehr in der Wohnung und wollte fragen, also … “ sie trat einfach beiseite, murmelte ein „Ja, klar“ und ging voran in die Küche. Sollte das denn so einfach sein? Sein Herz schlug immer schneller. Höhepunkt seiner Karriere? „Is nur H-Milch, geht die auch?“, hörte er zwar, aber eine Antwort formulierte er schon nicht mehr. Er nahm das blau-weiß karierte Küchenhandtuch in beide Hände, legte es ihr um den Hals, worauf sie natürlich schnell danach griff. Er aber zog zu, was ihre Aktivitäten von Sekunde zu Sekunde langsamer werden ließen. Erst ruderte sie so verzweifelt mit den Armen, dass sie dabei ein Marmeladenglas vom Kühlschrank fegte. Dann traten ihre Augen hervor und das Röcheln aus ihrem Mund wurde immer leiser. Sie rutschte auf den Küchenboden und auch da ließ er noch nicht los. Bis sie ganz still war und ihre aufgerissenen Augen irgendwie erstaunt zur Deckenlampe emporstarrten. Da zog er ihr das Tuch weg. Warf noch einen zögernden Blick auf die Milch. Und verließ ihre Wohnung, ohne etwas berührt zu haben.
Oben schloss er leise seine Tür und musste sich erst einmal zitternd dagegen lehnen. Er hatte es getan! Dann kam ein leises, irres Kichern über ihn. Überhaupt, Milch konnte er auch noch bei Pänny kaufen, die hatten bis zehn abends geöffnet!
Er warf das Handtuch in den Mülleimer.