Mittwoch, 05. Januar 2011 18:39
Als Martin unter dem Zaun durchkroch, wusste er natürlich, dass das nicht erlaubt war. Aber konnte man immer nur das tun, was erlaubt war? Er schlich leise durch die Hügel, stellte sich vor, wie die Soldaten sich hier angepirscht hatten, wie es geknallt haben musste. Stark! Peng Peng! Der ehemalige Truppenübungsplatz war wirklich der ideale Spielplatz für einen 15-Jährigen. Er ging zum Waldrand, setzte sich an einen Baum, schloss die Augen und ließ den sandigen Boden durch die Hände rieseln. Da fühlte er etwas. Er zog etwas aus dem Boden. Metall, der Abzug griffbereit, Patronen steckten, die Waffe sah aus wie im Film: Mächtig! Das würde sein Leben verändern! Wenn die wüssten! Stolz ging er mit dem verbotenen Fund nach Hause. Peng! Peng! In Bibabuhlenbach.
Die Erste, an der er seine neue Macht testete, war seine kleine Schwester Nina. Wieder einmal wollte sie in sein Zimmer, an seine Sachen. Er musste nur in der Tür stehen und ganz leise sagen: „Die ist echt. Pass in Zukunft lieber auf!“ Und weg war sie. Die Mutter würde ihr das nie glauben. Er lachte leise. Seine Mutter hatte sowieso andere Dinge zu tun: Die neuen Nachbarn beobachten zum Beispiel. Die waren vermutlich schlechte Menschen. Martin hatte schon in der Schule mitgekriegt, dass die Tochter von denen nicht am Religionsunterricht teilnahm. Und das bei ihnen in Bibabuhlenbach! Als diese Leute dann am Sonntag auch noch im Gottesdienst fehlten, war Schluss. Peng Peng in Bibabuhlenbach!
Alle halfen mit, das Dorf sauber zu halten. Eine tote Katze wurde den verdächtigen Nachbarn über den Zaun geworfen. Die stank schon etwas. Kurz darauf brannte ihre Scheune, und als sie die Polizei kam, erzählte Martins Mutter, diese Menschen hätten die Scheune selbst angezündet. Saubere Arbeit! Natürlich glaubte der Polizist der Bibabuhlenbacherin, nicht den Fremden. Auch im Dorfladen verkaufte man ihnen nichts mehr. Sollten die doch sehen, wie sie an Lebensmittel kamen! Martins Mutter war so mit dieser neuartigen Nachbarschaftsarbeit beschäftigt, dass der Junge mehr als sonst sich selbst überlassen blieb. Und er legte sich überall auf die Lauer, die Waffe in der Hand. Peng! Den Fremden wurden währenddessen von irgendwem die Fensterscheiben eingeschmissen. Martin sah zu und befühlte dabei wohlig die Waffe. Die kleine Tochter der Fremden wurde gehänselt und gestoßen. Martin lächelte. Seiner eigenen Schwester aber gab er einen Tritt, als die Eltern es nicht sahen. Und nochmal Peng Peng in Bibabuhlenbach!
Die Zugezogenen, diese Ungläubigen, suchten bald schon einen Käufer für ihr Haus. Die Dörfler nahmen es kopfschüttelnd zur Kenntnis. Wo es doch so schön war im Schwarzwald! Bei der Begrüßung hatten sie die Fremden ja noch begrüßt: „Herzlich willkommen bei uns in Bibabuhlenbach, wo die Welt noch in Ordnung ist!“ Martin stand bewaffnet am Fenster seines Zimmers und starrte hinüber zu den Nachbarn, die so anders waren als alle im Ort. Peng! Als seine Mutter ihn rief, legte er seine Waffe schnell in den Kleiderschrank und rannte nach unten. Dort saßen sie wieder, die Guten der Gemeinde, und beratschlagten, was noch zu tun wäre gegen das Schlechte in dieser Welt. Auch im Nachbardorf kenne man Leute, die einen unchristlichen Lebensstil hätten. Auch dort musste etwas getan werden! Heiden waren das doch. Martin musste schnell zum Laden laufen und noch Bier holen, damit ließ sich besser diskutieren.
Ein Schuss hallte durch die dörfliche Ruhe, gerade als Martin wieder auf dem Heimweg war. Peng? Alle strömten sie nun zusammen, um die Fremde anzustarren, wie sie in ihrem eigenen Blut lag, direkt vor ihrem Haus. Man hielt die kleine Nina fest, die noch die Waffe an sich drückte. Sie alle schwiegen betreten, als sie ihr das mörderische Ding aus der Hand nahmen und das verwirrte Kind dann wegführten. Die Mutter aber presste sich die Hände vor den Mund, um nicht laut loszuschreien. Nichts war in Ordnung in Bibabuhlenbach! Peng.