Von der Kunst, eine Zeitung in der U-Bahn zu lesen, ohne andere zu nerven

Mittwoch, 12. Januar 2011 16:13

Es geht! Versuch es einfach mal! Man muss nicht unbedingt dem Nachbarn vor der Nase herumfuchteln und alle zwei Sekunden laut raschelnd und wild zappelnd die Seite umblättern. Man braucht auch nicht den Platz von zweien, wenn man eine Zeitung liest. Üben, üben, dann schaffst auch du das! Üben? Ja. Aber bitte zu Hause.

Das Jahr des Hasens? Hä?

Samstag, 08. Januar 2011 20:37

Im Radio sind sie sehr stolz, etwas zum chinesischen Horoskop sagen zu können. Na schön. Aber wieso zum Jahr des Hasens? Da hat sich der Moderator echt vertan. Genitiv ja, aber nicht immer mit S!

Wir haben da nämlich so etwas, das nennt sich „n-Deklination“. Das sind Nomen, die ein „n“ hinten dranhängen, nur im Nominativ nicht. Einfach so. Zum Beispiel manche maskuline Wörter mit „e“ hinten wie Hase oder Löwe. Und Fremdwörter wie Dozent oder Chirurg! Ein Prinz ist dabei, aber auch mein Kollege und mein Nachbar.

Das ist mein Hase.
Ich streichle den Hasen.
Ich gebe dem Hasen eine Möhre.
Und ich verrate euch den Namen des Hasen!

Hier ist mein Kollege.
Ich kenne meinen Kollegen gut.
Ich helfe meinem Kollgen gern.
Aber den Namen des Kollegen verrate ich jetzt mal nicht.

So ist’s in Bibabuhlenbach! Ein harmloser kleiner Dorfkrimi aus dem Schwarzwald.

Mittwoch, 05. Januar 2011 18:39

Als Martin unter dem Zaun durchkroch, wusste er natürlich, dass das nicht erlaubt war. Aber konnte man immer nur das tun, was erlaubt war? Er schlich leise durch die Hügel, stellte sich vor, wie die Soldaten sich hier angepirscht hatten, wie es geknallt haben musste. Stark! Peng Peng! Der ehemalige Truppenübungsplatz war wirklich der ideale Spielplatz für einen 15-Jährigen. Er ging zum Waldrand, setzte sich an einen Baum, schloss die Augen und ließ den sandigen Boden durch die Hände rieseln. Da fühlte er etwas. Er zog etwas aus dem Boden. Metall, der Abzug griffbereit, Patronen steckten, die Waffe sah aus wie im Film: Mächtig! Das würde sein Leben verändern! Wenn die wüssten! Stolz ging er mit dem verbotenen Fund nach Hause. Peng! Peng! In Bibabuhlenbach.

Die Erste, an der er seine neue Macht testete, war seine kleine Schwester Nina. Wieder einmal wollte sie in sein Zimmer, an seine Sachen. Er musste nur in der Tür stehen und ganz leise sagen: „Die ist echt. Pass in Zukunft lieber auf!“ Und weg war sie. Die Mutter würde ihr das nie glauben. Er lachte leise. Seine Mutter hatte sowieso andere Dinge zu tun: Die neuen Nachbarn beobachten zum Beispiel. Die waren vermutlich schlechte Menschen. Martin hatte schon in der Schule mitgekriegt, dass die Tochter von denen nicht am Religionsunterricht teilnahm. Und das bei ihnen in Bibabuhlenbach! Als diese Leute dann am Sonntag auch noch im Gottesdienst fehlten, war Schluss. Peng Peng in Bibabuhlenbach!

Alle halfen mit, das Dorf sauber zu halten. Eine tote Katze wurde den verdächtigen Nachbarn über den Zaun geworfen. Die stank schon etwas. Kurz darauf brannte ihre Scheune, und als sie die Polizei kam, erzählte Martins Mutter, diese Menschen hätten die Scheune selbst angezündet. Saubere Arbeit! Natürlich glaubte der Polizist der Bibabuhlenbacherin, nicht den Fremden. Auch im Dorfladen verkaufte man ihnen nichts mehr. Sollten die doch sehen, wie sie an Lebensmittel kamen! Martins Mutter war so mit dieser neuartigen Nachbarschaftsarbeit beschäftigt, dass der Junge mehr als sonst sich selbst überlassen blieb. Und er legte sich überall auf die Lauer, die Waffe in der Hand. Peng! Den Fremden wurden währenddessen von irgendwem die Fensterscheiben eingeschmissen. Martin sah zu und befühlte dabei wohlig die Waffe. Die kleine Tochter der Fremden wurde gehänselt und gestoßen. Martin lächelte. Seiner eigenen Schwester aber gab er einen Tritt, als die Eltern es nicht sahen. Und nochmal Peng Peng in Bibabuhlenbach!

Die Zugezogenen, diese Ungläubigen, suchten bald schon einen Käufer für ihr Haus. Die Dörfler nahmen es kopfschüttelnd zur Kenntnis. Wo es doch so schön war im Schwarzwald! Bei der Begrüßung hatten sie die Fremden ja noch begrüßt: „Herzlich willkommen bei uns in Bibabuhlenbach, wo die Welt noch in Ordnung ist!“ Martin stand bewaffnet am Fenster seines Zimmers und starrte hinüber zu den Nachbarn, die so anders waren als alle im Ort. Peng! Als seine Mutter ihn rief, legte er seine Waffe schnell in den Kleiderschrank und rannte nach unten. Dort saßen sie wieder, die Guten der Gemeinde, und beratschlagten, was noch zu tun wäre gegen das Schlechte in dieser Welt. Auch im Nachbardorf kenne man Leute, die einen unchristlichen Lebensstil hätten. Auch dort musste etwas getan werden! Heiden waren das doch. Martin musste schnell zum Laden laufen und noch Bier holen, damit ließ sich besser diskutieren.

Ein Schuss hallte durch die dörfliche Ruhe, gerade als Martin wieder auf dem Heimweg war. Peng? Alle strömten sie nun zusammen, um die Fremde anzustarren, wie sie in ihrem eigenen Blut lag, direkt vor ihrem Haus. Man hielt die kleine Nina fest, die noch die Waffe an sich drückte. Sie alle schwiegen betreten, als sie ihr das mörderische Ding aus der Hand nahmen und das verwirrte Kind dann wegführten. Die Mutter aber presste sich die Hände vor den Mund, um nicht laut loszuschreien. Nichts war in Ordnung in Bibabuhlenbach! Peng.

S-Bahn-Wunder

Montag, 03. Januar 2011 15:57

Das gibt es auch: Während überall die Menschen auf ihre Bahn warten oder sich nach einer Alternative umsehen, fährt hier meine S 47, obwohl die doch gar nicht mehr fahren soll, laut Fahrplan. Danke! Heute also keine Schlägereien hier, keine kalten Füße, keine Tränen …

Es geht lohos! Endlich! Wieder!

Sonntag, 02. Januar 2011 18:23

Schluss mit der Langeweile! Schluss mit dem morgendlichen Langschlafen, wie dekadent war das denn!?, ein Auge auf, gleich wieder zu, noch ein Stündchen, umdrehen, schnell dem Ruf der Natur folgen, dann wieder ins warme Bettchen, auch tagsüber lesen, gammeln, essen wenn Hunger, raus wenn nötig oder wenn Lust. Morgen? Ich beäuge den Wecker misstrauisch. Wird er es schaffen? Viertel nach sechs? Werde ich es schaffen? Und dann die S-Bahn! Schon jetzt die Ankündigung, dass nur noch die Hälfte der Bahnen meinen Bahnhof anfährt. Das heißt: Doppelt so viele Menschen in der ohnehin schon vollen Bahn. Und früher aus dem Haus. Und viele gereizte Menschen unterwegs. Oh wow, wie freue ich mich auf morgen! Bei der Arbeit sind dann auch alle voller Energie und Enthusiasmus. Neues Jahr, neues Glück!
Ich will nicht. Kann ich nicht einfach hier bleiben? Och büüüttee!

Es soll ja so Kurse für Langzeitarbeitslose geben, damit die sich wieder in den Arbeitsalltag einfinden. Die lernen dann, früh aufzustehen und pünktlich irgendwo zu sein. Nicht dass da irgendwas Wichtiges warten würde, nein, einfach nur so als Training. Da frage ich mich doch: Was ist eigentlich der natürliche Zustand, was ist das Normale? Sollten wir nicht einfach in uns hineinhorchen und dann schön lange schlafen, spazieren gehen und uns mit Freunden treffen?

Lassen wir es morgen doch einfach! Bleibt alle zu Hause, dann ist die S-Bahn auch viel leerer und gemütlicher!

Vom Terror in den öffentlichen Verkehrsmitteln

Dienstag, 07. Dezember 2010 17:41

Es gibt ja immer noch Menschen, die bekommen beim Anblick eines herrenlosen Koffers oder eines seltsamen, länglichen Pakets unter dem Arm eines Bärtigen gleich Panik. Lächerlich! Der wahre Terror ist längst organisiert, er findet täglich statt und ist erfolgreich!

Die geheimen Schulungszentren für Störenfriede arbeiten vor allem an den Wochenenden und abends, wenn keiner es merkt. Und dann werden die Aktivisten auf die Menschheit losgelassen, am besten Montagmorgen um acht. Eine Gruppe hat sich auf die Verbreitung von Viren spezialisiert. In den Kursen erlernen sie effektives Niesen und Röcheln, das auch den stärksten Gesundmenschen die U-Bahn fluchtartig verlassen lässt. Ganz eifrig senden sie ihr kräfiges Hatschi in die Bahn, um sich dann mit der vollgeniesten Hand an der allgemeinen Haltestange festzuhalten. Klasse!
Eine andere Gruppe ist immer mit Schirmen bewaffnet. Damit kann man hervorragend Fahrgäste auf S-Bahn-Bahnsteigen stolpern lassen. Auf Treppen werden diese Waffen ruckartig nach hinten gestoßen; allein im Jahr 2010 wurden dadurch erfolgreich siebzehn Augen vernichtet und 23 Nasen verunstaltet. Mit nassen Regenschirmen kann man zudem ganz wunderbar Sitzflächen beflecken, Kopien unlesbar machen und einem die Lektüre verleiden.
Die dritte Gruppe besteht aus Experten für intellektuelle Handy-Gespräche. Möglichst laut gebrüllt, erfüllen sie jede Bahn mit geistreichen Wortfetzen, die anderen Fahrgästen das Lesen, Träumen oder Reden unmöglich machen: „Ja, und dann hat mir das Amt auch noch dreihundert Euro abgezogen, und der Scheißkerl bezahlt keinen Unterhalt, und der Kleene hat schon wieder das Bett vollgepinkelt …“ „Nee, warte oben an der U-Bahn, oben, Mensch, biste denn total verblödet, oben sollste warten, hörste mir eigentlich zu …“
Unglückliche Gäste von U- und S-Bahn werfen sich verstehende Blicke zu (schon wieder so ein Irrer), zucken mit den Achseln und starren dann melancholisch aus dem Fenster. Doch die Moral für den Tag wird unterhöhlt, zermürbt, und das ist das Ziel dieses gut organisierten Terrors: Zersetzung. Passt also auf! Und nehmt euch ein gutes Buch zur Ablenkung mit.
Die stärkste Truppe arbeitet übrigens zurzeit von innen, bei der S-Bahn selbst! Zuverlässige Anzeigen, ausreichend Platz in der S-Bahn, Pünktlichkeit? Ha, das war vielleicht einmal! Tausende drängen sich bei Eiseskälte auf schmalen Bahnsteigen, drohen, auf die schneebedeckten Schienen gestoßen zu werden oder nicht mehr in die übervolle Bahn eingelassen zu werden. Wer sich auf Ansagen oder Anzeigen verlässt, ist selber schuld. Und während sich die Berliner Bevölkerung verzweifelt ans Ziel schleppt und schon nicht mehr aufbegehrt, auch bei der Arbeit nicht mehr, währenddessen also reiben sich die fiesen Aktivisten im Hintergrund grinsend die Hände und formulieren munter ihre nächste S-Bahn-Ansage: „Meine Damen und Herren, aufgrund unberechenbarer Wetterverhältnisse wird die S47 Richtung Südkreuz voraussichtlich 35 Minuten Verspätung haben! Wir bitten um Ihr Verständnis!“ Was sie natürlich nicht erhalten. Wer dann übrigens schnell zum nächsten Bäcker huscht, um sich einen Kaffee zu gönnen und sich ein bisschen aufzuwärmen, der wird erleben, dass genau in dem Moment, da er den Bahnsteig verlassen hat, die S-Bahn doch noch kommt und zwei/drei schmale Personen sich hineinpressen können. Der Kaffeetrinker hört dann nur noch aus der Ferne: „Zurückbleiben, bitte!“