Archiv für Dezember 2006

Die Fahrausweise bitte!

Mittwoch, 13. Dezember 2006

Früher (fast hätte ich geschrieben: „zu meiner Zeit“), da konnte man sich auf die Kontrolleure in der U-Bahn noch verlassen. Plötzlich betraten etwa acht finster aussehende Männer in Uniform den Wagen und verteilten sich blitzartig, sodass es kein Entrinnen gab. Doch, einmal habe ich erlebt, wie ein junger Mann schnell die gegenüberliegende Tür aufriss (das ging!) und auf die Gleise sprang. Er entkam, puh. Wir anderen nicht, wie immer.

Heute geht das anders ab. Vorhin erlebt: Die Ansage säuselt ihr obligatorisches „Zurückbleiben, bitte“, da stürzen zwei sehr schlampig gekleidete Typen herbei, zwängen sich noch rein, die Speziflaschen wie andere ihr Bier festklammernd. Dann stößt der eine auch noch seinen Fuß zwischen die Tür, die blockiert. Und ein Dritter steigt ein, mit diesem typischen Maschinchen, das aussieht wie ein überdimensionierter Taschenrechner. Ha, denke ich, jetzt kriegen die zwei Rüpel was auf die Rübe. Denkste. „Ihr seid ja zwei Pappnasen“, brummt der Dritte nur mürrisch, während die beiden anderen sich einen abkichern und rumblödeln. Dann, lautstark: „Die Fahrausweise bitte, Fahrscheinkontrolle!“ Ha!

Diesmal habe ich mit finsterster Mine im Zeitlupentempo meine Karte rausgezogen. Kleine Rache muss schließlich sein, grummel. Ich will gefälligst wieder ordentliche Kontrolleure!

Montagmorgen in der S-Bahn

Dienstag, 12. Dezember 2006

Es gibt diese schmuddeligen Tage, an denen keiner aus dem Haus will und alle Menschen unterwegs eine finstere Müdigkeit ausstrahlen. „Sprich mich nicht an, lass mich in Ruhe!“
Es gibt aber auch ganz andere Tage, und sogar ein Montag kann so anfangen: Acht Uhr. Sanfte Schläfrigkeit in der Ringbahn, nur ein paar Schülerinnen plaudern harmlos (“ … und dann hat er gesagt, er findet mich …“) , aber das stört nicht: Am Himmel bereitet sich der wunderbarste Sonnenaufgang vor! Und alle sind friedlich. Die Menschen wirken frisch geduscht, die Haare flauschig geföhnt (die eine Blonde da links neben mir), ich sehe Anzüge, brave Mäntel und geputzte Schuhe. Und keiner lehnt sich gegen die Macht auf, die ihn/sie zu dieser Uhrzeit in die Welt gespült hat. Denn es ist ein richtig schöner Morgen.

Berlin s’éveille – Berlin erwacht.

Ausspucken

Samstag, 09. Dezember 2006

Oder nee – ich hab’s mir anders überlegt. Ich will nicht darüber reden. Es ist einfach zu eklig! Obwohl, es gibt hier in dieser Gegend Männer, die das ganz cool und männlich finden. In der U-Bahn. Auf der Straße. Auf der Treppe zur S-Bahn.

Scheußlich. Widerlich. Wechseln wir doch lieber das Thema!

Igitt, was ich heute wieder sehen musste …

Gegen den Strom

Freitag, 08. Dezember 2006

Wenn man mal morgens um acht Bahnhof Zoo ausgestiegen ist, dann weiß man: Es ist nicht immer gut, gegen den Strom zu schwimmen. Auch wenn ich jetzt keinen Aufruf für Anpassung loslassen will. Aber ich sehe manche Leute, die wütend versuchen, sich mitten durch die Masse zu kämpfen, die ihnen entgegenkommt. Wahnsinn. Und ich sehe Leute, die aus ihrem Strom ausscheren und sich an der Seite vorbeischlängeln wollen. Auch Wahnsinn. Dann haben die anderen nämlich gar keine Chance mehr! Ein paar unausgesprochene Regeln gibt es in solchen Situationen, sonst funktioniert es nicht. Man muss nur hinsehen!
Neulich regte sich eine Frau darüber auf: Wo gibt es denn sowas, dass man auf der Treppe rechts gehen soll?? Sie hatte das Ganze wohl noch nicht so richtig durchschaut. Selber schuld.

Angst? Nö.

Dienstag, 05. Dezember 2006

In die Ringbahn drängt eine laute Gang arabischer Jugendlicher, Jungs im Alter von 13 bis 16 oder so. Ich setze mich zwar ganz ans andere Ende des Wagens, aber wie das Schicksal so spielt – sie setzen sich genau neben mich und einen friedlich lesenden Studenten. Der hat ihre Aufmerksamkeit geweckt. Hey, was für ein Player ist denn das? Was lesen Sie denn da? Wie alt sind Sie? Er grinst nur etwas hilflos-freundlich und versucht weiterzulesen. Sie sind viele, über zwölf, setzen sich unter lautem Gegröle auf die Ablage, singen einen Song, der wohl ihre Gang-Hymne ist und tanzen dazu. Dann fragen sie den Studenten, ob sie ihm keine Angst machen, ob er sich bedroht fühle. Keine eindeutige Antwort. Anschließend Gruppenfoto, das gleich per Handy verschickt wird. Ohrenbetäubendes Geschrei, das ein bisschen an Kampfgeschrei erinnert.
Wieso fragt mich eigentlich niemand, ob ich Angst habe? Nein, ich habe keine Angst. Sie sind laut und jung und wollen Aufmerksamkeit. Mehr nicht. Mich lassen sie absolut in Ruhe.

Beim Aussteigen in Tempelhof rempeln sie dann noch ein paar deutsche Jugendliche an und beschimpfen sie unflätigst. Dann ist der Zauber wieder vorbei. Kleiner Ausflug der Jugendgruppe? Hm.

Tränen

Dienstag, 05. Dezember 2006

(Mir ging ja der Titel „Kindertränen“ durch den Sinn, aber dann fiel mir jene so entsetzlich traurige Geschichte von Ernst von Wildenbruch ein, die man nicht ohne Heulattacken überstehen kann – nein. Das muss denn doch nicht sein.)

Gestern an einer Neuköllner Grundschule: Ein Mädchen, etwa zehn Jahre alt, geht auf mich zu und weint so herzzerreißend, dass ich sie einfach fragen muss, ob ich ihr irgendwie helfen kann. Unter Schluchzern bringt sie endlich hervor, dass sie zu ihrer Freundin bloß gesagt habe, dass sie jetzt ein Kopftuch tragen wolle. Und die hat sie ausgelacht! Und will es jetzt allen erzählen, und dann lachen alle über sie!! Ich bin erschüttert. Das ist eine Gemeinheit! Als ich mit ihr zu der „Freundin“ im Hintergrund gehen will, verdrückt die sich und eine mürrische Erzieherin schickt das weinende Kind ins Klassenzimmer. „Macht das unter euch aus“, ist ihr trockener Kommentar. In mir bleibt ein richtig blödes Gefühl, versagt zu haben. Ich hätte ihr Mut machen sollen, jawohl! Selbst wenn ich nichts mit Kopftüchern anfangen kann, so hat keiner das Recht, eine andere deshalb auszulachen. Es ist ihre Entscheidung! (Danach habe ich sie übrigens auch befragt.) Vielleicht braucht eine junge türkische Muslimin in Neukölln das. Fertigmachen gilt jedenfalls nicht.