Montag, 03. September 2007 09:20
Die Welt ist schon ein Jammertal. Zumindest, wenn man frühmorgens die Neuköllner Karl-Marx-Straße entlangstapfen muss. Montagmorgen auch noch! Es gießt und die Schüler schleichen geduckt zu ihrer Bildungsinstitution. Die erwachsene Welt scheint diese dauerhafte Finstermiene aufgesetzt zu haben: Komm mir nicht zu nah, sonst kriegste eins in die … Urgemütlich. Die Autos fahren mit bösartigem Schwung in alle Pfützen und wollen den Fußgängern bestimmt eins auswischen. Der Zehnjährige neben mir will sowieso wieder ins Bett, wieso in die grausame Schule, wenn man Schnupfen und Bauchschmerzen hat? Hat ja irgendwie Recht, der Arme, aber das wäre dann an 200 Tagen im Jahr so!
Wer sich Montagmorgen noch vor acht dann auch noch in einen Supermarkt wagt, der erlebt diese Stimmung nochmal hoch zehn. Es ist kaum möglich, den Einkaufswagen an den ganzen Stapeln vorbeizulenken, die jetzt ausgepackt werden. Die Verkäuferinnen sind extrem muffig, ich frage lieber nichts und nehme nur schnell die kleinen Tomaten von der Palette. Zwei Arbeiter in blauen Latzhosen unterhalten sich düster über Hartz IV; türkische Hausfrauen besetzen die Gänge. Nee, ich will hier raus! Bis diese eine hektische Verkäuferin an die Kasse gerufen wird, offensichtlich dringend, sie keift ein wütendes „Jaaa!“ zurück und rast hin. Ein Kunde zickt wohl rum. Er hat es gewagt, seinen Pappkarton aufs Band an der Kasse zu stellen. Dann höre ich seine Stimme: „Und was soll das überhaupt mit ‚junger Mann‘, ich sage ja auch nicht ‚Baby‘ zu Ihnen!“. Die Verkäuferin macht ihm daraufhin klar, dass sie das nicht stören würde. Er dreht jetzt richtig durch und schreit seine Wut in den Laden, wieso die Berliner immer ‚junger Mann‘ sagen, das sei eine Frechheit, und und … er ist wahrhaftig kein junger Mann; rundlich, um die Fünfzig, mit Schnurrbart und extrem distinguierten Hochdeutsch, das er so wohl nicht zu Hause anwendet. Distanz durch Sprache, kennwa doch.
Mit einem Mal ist meine Stimmung besser. Klar hat er Recht. Ich zucke auch immer zusammen, wenn eine energische Stimme von irgendwo ertönt: „Junge Frau, so geht das aber nicht!“ Denn jede könnte damit gemeint sein. Vor allem Beamte und Verkäuferinnen versuchen auf diese Weise, ihre Umwelt zu erziehen. Ganz krass finde ich ja auch, wie manche ihre Köter rufen – sorry, ich mag eigentlich Hunde, aber was zu viel ist … – „Junge Dame“ (oder womöglich „Fräulein“), „was soll das denn, was machst du denn da, kommst du jetzt sofort her!“. Zum Hund, lange Reden hier auf unserer Straße. Toll.
Aber warum ist meine Stimmung plötzlich besser – nur, weil sich ein Kunde aufgeregt hat? Nein. Weil er das ganze Übel auf sich genommen hat, wie Jesus irgendwie, jetzt verstehe ich das alles besser mit der Sünde der Welt und so. Der Mann im Supermarkt hat sich ausgekotzt, also muss ich es nicht mehr tun. Im Gegenteil, ich kann gelassen denken, worüber sich manche Leute aufregen, ach nee, so ist das nun mal in Berlin, ist doch nicht bös gemeint … und verflogen ist meine Miesepetrigkeit. Ich kriege an der Kasse auch keinen Schreikrampf, als ich den Preis der völlig überteuerten Cocktailtomaten sehe, das kommt davon, wenn man was von der Palette zieht, na da haben wir eben wundervolle Vitamine für das Kind …
Unterwegs der Regen macht mir nichts mehr aus. Mein gemütlicher Schreibtisch erwartet mich, und ich kann köstlichen tunesischen Pfefferminztee schlürfen, während die Welt sich verzweifelt gegen den Montagmorgen sträubt. Macht mir gar nix!