Archiv für Januar 2007

Ups …

Mittwoch, 10. Januar 2007

Jetzt geht es mir doch glatt wie Donald! Ich habe Daisys Geburtstag vergessen. Und das beim Siebzigsten!
Ob eine Frau allerdings unbedingt durchdrehen und rumkeifen muss, wenn sowas passiert, ist eine andere Frage. Und auch Stöckelschuhe und Haarschleifchen sind nicht eben meine Sache. Aber lachen kann ich über diese Klischees allemal!

Aber was schenkt man da eigentlich?

alt und arm

Dienstag, 09. Januar 2007

Manchmal ist die Armut offensichtlich. Heute bei dem alten Mann an der S-Bahn zum Beispiel, der sich einen kleinen Stuhl dort am Eingang aufgestellt hatte und zusammengesunken bettelte. Das heißt: Er hielt einen kleinen Plastikbecher in der Hand und tat nichts.
Aktiver war da schon der junge Mann vor dem Supermarkt. Der saß da mit seinem Hund und grinste alle an. Sein Arm bewegte sich fordernd.
Noch aktiver aber sind die alten Menschen, die in aller Frühe aufstehen, um in der Nachbarschaft die in der Nähe gestapelten Zeitungen zu verteilen. Hab ich auch nicht gewusst.

nein iläwn

Dienstag, 09. Januar 2007

Er war lange Zeit nicht mehr in Berlin gewesen. Alles schien so fremd. Schon dass man Kochstraße aussteigen und dann immer weiter nach Norden gehen konnte, zu Fuß, die Friedrichstraße entlang! Unfassbar. Dafür hatten seine Mitmenschen natürlich wenig Verständnis. „Amerikaner“, dachten sie vielleicht, und das wars dann. Obwohl er ja auch aus Deutschland kam.

An jenem Morgen wollte er die S-Bahn nehmen, die Ringbahn – auch so eine fantastische Änderung. Das wäre praktisch gewesen zu seiner Studienzeit, nicht mit der öden U7 durch die halbe Stadt! Damals. Er träumte vor sich hin. Hier in Neukölln hatte sich nicht so viel geändert, die Karl-Marx-Straße sah fast so aus wie vor dreißig Jahren. Die Brücke des S-Bahnhofs, auf der er jetzt stand, hatte er oft gesehen. Und nicht beachtet.

Alle Leute um ihn herum wirkten gelassen. Gelangweilt. Ein ganz normaler Morgen für sie. Man wartete auf den Zug. Die Anzeige: Noch zwei Minuten. Er starrte ebenso vor sich hin. Hörte dann das Motorengeräusch. Blickte auf, über die Dächer Neuköllns: Ein Flugzeug! Klein, mit Propellern. Es näherte sich der Stadt. Panik ergriff ihn. Ja sahen sie denn nicht die Gefahr? Hörten sie es nicht? Immer tiefer ging es, schon fast streifte es die Häuser. Und immer noch dieser Stumpfsinn bei seinen Mitmenschen. Nein! Das durfte nicht sein! Gleich würde es krachen, Schreie, Sirenen. Und niemand wollte etwas tun, weil hier in dieser Stadt offenbar nur noch Gleichgültigkeit regierte. Immer näher. Lauter.

Da fing er an zu schreien. Er rannte los. Schüttelte die Passanten, brüllte sie an. „Man muss was tun!“, und „Nein, nein!!“. Sie sahen ihn verständnislos an. Ja waren sie denn blind? Zu spät, nur noch wenige Sekunden!

Ein älterer Herr klopfte ihm beruhigend auf den Rücken. „Keine Panik, junger Mann. Det is hier immer so. Da drübn is der Flughafen Tempelhof, wissense.“

Beschämt verließ er den Bahnsteig, unter mitleidigen Blicken. Morgen ging sein Flug zurück nach New York. Nach Berlin würde er so schnell nicht mehr kommen.

Fahrerfreuden

Montag, 08. Januar 2007

Es ist Sonntagabend, und ich steige Rathaus Neukölln aus der U7. Ein kleiner Menschenauflauf ganz vorne an der U-Bahn irritiert mich. Was ist los? Wohin starren sie, kichernd? Ins Fahrerhäuschen der U-Bahn. Der Fahrer schläft tief. Kann das sein? Vielleicht ist es ja nur ein 10-Sekunden-Schläfchen an einem Bahnhof. Kopf ans Fenster gelehnt, Augen fest geschlossen. Vielleicht aber kann die U-Bahn auch mit schlafendem Fahrer ans Ziel kommen? Wie im Flugzeug: Schalten Sie auf Autopilot!

Mit mulmigem Gefühl gehe ich weiter.

darfmannich

Sonntag, 07. Januar 2007

Cornelia ist gut erzogen. Das konnte man gleich merken, als sie vor drei Jahren nach Berlin kam: Da beeindruckte sie die Kinder am Straßenrand, als sie ordentlich bei Rot an der Ampel stehen blieb. Dumm nur, dass der irre Rechtsabbieger sie fast mitgeschleift hätte, als sie sich schließlich bei Grün auf die Fahrbahn wagte. Sein boshaftes Grinsen übersah sie selbstverständlich.

In der U7 auf dem Weg zur Uni wurde sie mehrfach angesprochen. Vielleicht lag das an ihrem ländlich-soliden Mantel, der den jungen Großstadtmännern Eindruck machte? Oder waren es ihre glatten, blonden Haare? Gefallen hat ihr das nicht, aber sie lächelte nur schüchtern und abweisend.

Auch in der S-Bahn hätte sie anfangs vor lauter Höflichkeit fast gefragt, ob der Platz noch frei sei! Wie das in ihrer ländlichen Heimat üblich war. Aber sie konnte sich gerade noch bremsen; besser so.

Anfangs machte ihr die Stadt Angst. Vor allem der nächtliche Heimweg vom Rathaus Neukölln zur Sonnenallee machte ihr zu schaffen. Aber sie gewöhnte sich daran. Auch der Gang durchs nächtliche Treppenhaus rauf zu ihrer Mietwohnung war gewöhnungsbedürftig. Streitigkeiten der Nachbarn waren durch die Wohnungstüren zu hören. Unangenehm, aber Cornelia überhörte sie.

Irgendwann änderte sich das alles. Gute Erziehung schön und gut. Aber als ein Typ ihr an der Karl-Marx-Straße auf den Schuh spuckte, da war es aus. Sie erstarrte. Sah ihn an und brüllte los. Was das solle, so’ne Sauerei, ob er nich besser zielen könne! Das Mann war sprachlos und entschuldigte sich dann bei Cornelia. Das machte sie nachdenklich.

Heute nennt sie sich Nelia, das klingt cooler. Wenn ihr ein Autofahrer den Vortritt nimmt, hat sie einige strafende Handbewegungen parat, die wir hier nicht genauer beschreiben wollen. Danach fühlt sie sich besser. Die Farbe der Ampel kümmert sie nicht mehr sonderlich. Den Mantel hat sie gegen eine Lederjacke getauscht und den Pagenschnitt gegen eine asymmetrische Kurzhaarfrisur. Dunkel gefärbt. Dadurch wird sie jetzt weniger angesprochen, was ihr sehr angenehm ist. Auch der Heimweg ist jetzt sicherer; manchmal wechseln Frauen vor ihr die Straßenseite, weil sie sie für einen Mann halten. Auch egal.

Nelia besucht jetzt einen Sprachkurs an der Volkshochschule: Arabisch für den Kiez. Als gestern ein junger Typ auf sie zuging und sie anquatschte von wegen „schnell mal zu ihm, tolle Nummer“ und so, da fauchte sie ihn auf Arabisch an, was das denn solle und wo seine gute muslimische Erziehung bleibe! Da war der völlig platt und verdrückte sich schnell.

Im Treppenhaus ruft sie nun auch mal ein munteres „Kanns auch ’n bisschen leiser sein?“ in die Runde, was tatsächlich ein Weilchen für Ruhe sorgt.

Und wenn jetzt einer im U-Bahnhof raucht, verzieht sie sich nicht mehr bekümmert ans andere Ende des Bahnsteigs, um keinen Asthmaanfall zu kriegen. Nein, sie geht zu dem Raucher und meint ganz gelassen: „Hey Alter, kannste mal den Stinkestängel ausmachen, det is echt widerlich!“ Dabei sieht sie den Missetäter so finster an, dass die Botschaft gut rüberkommt!

Gut erzogen zu sein ist ja schön und gut. Aber in Neukölln sieht das eben ein bisschen anders aus.

Straßenkind

Sonntag, 07. Januar 2007

Immer wenn Ronni in die S-Bahn einstieg, hängte er sich an eine Person, meist eine Frau, neben die er sich dann setzen konnte. Schließlich ist auch Schwarzfahren eine Kunst, die man immer noch ausbauen kann. Und auch ein Achtjähriger kann darin richtig gut sein. Mit unschuldigen Kinderaugen schaute er sich um, ob nicht ein geeignetes Opfer in Sicht war. Denn für ihn gab es immer verschiedene Kathegorien: Träger, Opfer und Fluchthelfer. Davon ahnten die Fahrgäste natürlich nichts. Sie gingen ihren üblichen Beschäftigungen nach: In der Tasche nach einem Taschentuch suchen; Bonbon auspacken; andere beobachten; sich Notizen darüber machen … Ronni hatte mit der Zeit einen Blick dafür entwickelt, wer ihm etwas einbringen konnte. Die alte Dame mit dem Kaugummi und den Fellhandschuhen? Nein, solche keiften immer schnell los: „Was soll denn das, wo sind denn deine Eltern, das geht doch nicht!!“ Der gemütliche Student mit dem Schmöker? Ja! Der wollte erstens schnell weiterlesen, sprich: seine Ruhe. Und zweitens hatte der mehr Verständnis für arme, hungrige Großstadtjungs. Also dann!

An diesem Tag lief alles ein bisschen anders. Vielleicht hätte das Ronni schon früh zu denken geben sollen, aber er war so an Veränderungen gewöhnt, dass es ihm nicht auffiel! Eine Studentin war es, die in ihr Buch vertieft war. „Die Mörder sind überall“ oder so ähnlich hieß es, aber das interessierte Ronni nicht sonderlich. Er stand auf (seine Nachbarin war diesmal eine etwa vierzigjährige Mutter mit einem Mädchen) und lehnte sich zu der Studentin runter. Sie blickte kurz irritert auf und las weiter. Er flüsterte ihr zu: „Bitte, helfen Sie mir.“ Sie hob erneut den Blick. „Hä?“ „Sie sind hinter mir her. Wenn ich nicht alles tue, was die zu mir sagen, bringen sie mich um!“ Die Studentin konnte sich nun nicht länger auf ihr Buch konzentrieren. „Was is los? Spinnst du?“ Diese Art von Reaktion kannte er schon, darauf war er gefasst. „Ich kann nur kurz mit Ihnen sprechen, jetzt sehen sie gerade nicht her. Ich bin in einer Sekte, und die lassen mich nicht ziehen! Schnell, geben Sie mir zehn Euro, dann kann ich mich befreien!“ Er flüsterte, so leise er konnte, doch musste er auch das Dröhnen der Bahn übertönen. Die junge Frau starrte ihn an und schrie plötzlich auf! Das etwa war der Zeitpunkt, da Ronni vermutete, dass sein Plan dieses Mal nicht funktionierte. Also sie schrie jedenfalls mit einer ziemlich hysterischen Stimme auf, packte ihn fest an beiden Armen, starrte ihm in die Augen und sagte kann ganz leise zu ihm: „Ronald. Du bist es! Verdammt, seit zwei Jahren suche ich nach dir! Du kommst jetzt mir und Schluss mit dem Theater!“

Ronni trottete an jenem Tag sehr betrübt hinter seiner großen Schwester her. Sein Leben auf der Straße und mit den anderen Jungs war erst einmal beendet. Schluss mit der Freiheit! Die anderen in der S-Bahn hatten übrigens gar nichts bemerkt.