Archiv für die Kategorie 'Fiktion'

Kürzestroman: Die Heimkehr

Montag, 05. März 2007

Er kehrte heim.

Nach all der Zeit, all den Entbehrungen, die hinter ihm lagen, fühlte er sich wie ein neuer Mensch. Er stieg die Treppe hoch, und die Gerüche dort ließen ihn längst vergessene Erinnerungen wach werden. Ungute Erinnerungen.
Er legte die Hand auf den Türgriff. Wie würde es werden und was würde sie sagen? Er zögerte. Noch konnte er umkehren und all dem für immer Lebewohl sagen.
Er öffnete die Tür. Fernsehgeräusche und Mief drängten sich ihm entgegen. Noch ein Schritt. Ihre Stimme plötzlich, wohl aus ihrem Fernsehsessel heraus: „Spatzli, hast du dir auch die Schuhe abgeputzt?“

Verschwörung

Sonntag, 04. März 2007

Schon als sie aus dem Haus ging, wusste sie, dass die Welt gegen sie war. Nicht so ein albernes „Die Welt hat sich gegen mich verschworen“, nein, sie wusste es wirklich und sah: In Neukölln der sonntägliche Flohmarkt war ohnehin schon nervig, heute aber parkte ein Wagen direkt vor ihr auf dem Bürgersteig, gleichzeitig plauderten zwei riesige Afrikaner so gemütlich und breit genau dort, dass an ein Durchkommen nicht zu denken war.
In der S-Bahn, (mal wieder): Eine mürrische Frau mit strähnigem Haar drängelte sich vor sie und setzte sich prompt an den Gang, sodass sie mühsam über Beine klettern musste. Auch das Wetter war entsprechend: Während im Süden Deutschlands die Sonne strahlte und Leute am Vorabend sogar die Mondfinsternis zu sehen bekommen hatten, versank Berlin im Grauschleier. Am Himmel und auf den Gesichtern der Menschen.
Aussteigen, umsteigen. Klar, dass sie von zwei rüpelhaften Radfahrern auf dem Bahnsteig fast an die Mauer gequetscht wurde, als die ihre Räder die Treppe runtertrugen. Finsteres Grollen ihrerseits. Wie machten die es nur, wie verständigten die sich untereinander, um sie fertigzumachen?
Rückweg. Inzwischen hatte sich sogar die Sonne durchgekämpft und auch die Menschheit schien etwas positiver. Sie las in der S-Bahn ihren Thriller, als sich ein Mann neben sie setzte. Aus den Augenwinkeln konnte sie weiße Pluderhosen sehen, Fliegerjacke, beim kurzen Hochblicken dann Glatze und roten Rauschebart. Faszinierend. Und da wusste sie auch, was all die Vorboten ihr hatten sagen wollen: Die Stunde der Abrechnung war gekommen.
Es war klar, dass Rauschebart irgendwann seine Bombe aus dem Rucksack ziehen würde. Ein Staunen und Raunen würde durch die Reihen gehen und sie würden verstehen und die Welt wäre eine neue …
Wie der ernsthafte Muslim, so stieg auch sie wieder Neukölln aus und blickte ihm noch versonnen nach. Ein Vater zeigte seinem Sohn den sonderbaren Gläubigen („Kuck mal, Glatze und nen roten Bart, da!“) während er entschwand. Sie ging wieder am Flohmarkt vorbei, diesmal zufriedener mit sich und der Welt. Gestank und Müll störten sie nun nicht mehr. (Auch nicht die sich wild streitenden Araber, die ihr nachsahen).

Sie lächelte.

Dialoge, die nie gesprochen wurden

Donnerstag, 01. März 2007

Auf meinen Wegen durch Berlin gehen mir immer wieder Gespräche durch den Kopf, die ich mit Leuten führen würde, wenn ich in bestimmten Situationen wäre. Was aber nie passiert. Ein Beispiel:

Ich gehe eilig die Karl-Marx-Straße entlang. Die nächste S-Bahn könnte ich eventuell noch kriegen. Fantasie:

Reporter springt auf mich zu: Entschuldigen Sie bitte, dürften wir Ihnen ein paar Fragen zur aktuellen Lage stellen? Was sagen Sie zu …
(je nachdem, was gerade aktuell ist. Gestern Doping, heute ein gefasster Kinderschänder)

Ich: Nö. Keine Zeit.

Reporter: Aber das ist doch wichtig! Nur ganz kurz!!

Ich: Ach was. Übertreiben Sie nicht. Das interessiert keinen Menschen. (Und weg bin ich)

(Die sollen endlich kapieren, dass sie sich nicht so wichtig nehmen sollen!)

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Oder, in der S-Bahn sitzend, stelle ich mir folgenden Dialog vor:

Ich: Sagen Sie mal, finden Sie es gut, wie Sie Ihr Kind behandeln?

Blöde Mutter: Wat jet Sie denn det an, was ich mit meim Kind mache?

Ich: Nun, ich mache mir so meine Gedanken. Sieht traurig aus, die Kleine.

Blöde Mutter: Ach was, die is einfach doof, det Jör.

Ich: Hm.

Blöde Mutter: Wat soll det heißn, „hm“? Denkn Se, ick bin ne schlechte Mutta? He, Sie, wat denkn Sie denn darüber?

Älterer Herr: Also mir tut das Kind leid.

Punk: Die Alte hat doch voll einen an der Schüssel, ihr Kind so zu quälen!

Blöde Mutter: Ach Quatsch, ihr habt doch alle keene Ahnung. Det hör ick mir nicht länger an, ick steig hier aus! Komm endlich, Jessica, die spinnen alle, die Leute …

Jessica: Warte, Mama, nicht so schnell, hier is doch noch gar nich Hermannstraße! (Grinst verschwörerisch und steigt dann mit der Mutter aus)

Und am Ende: Nur mal eben nach Europa

Mittwoch, 28. Februar 2007

Alles war eigentlich so hübsch vorbereitet, wie vor dem Backen Mehl, Zucker, Butter und Eier nur noch darauf warten, in einen leckeren Kuchen verwandelt zu werden: Die Flugzeugträger standen bereit. Ach nein, die Kitty musste noch herbei zitert werden, damit auch böse kleine Bootchen der Feinde sich nicht den lieben großen Schiffen der Freunde nähern konnten. Dafür brauchte man die Hubschrauber von der Kitty. Vorbereitet war auch die Stimmung der Presse – zu viel Ärger wollte man doch nicht. Auch das Land hinter Palästina spielte mit und gab eifrig Drohungen von sich. Wie gesagt, alles hätte nach Plan laufen können. Wenn nicht diese unerfreulichen Ereignisse in Europa alles umgeworfen hätten. Ein völlig neuartiger Feind machte dort die Regierungen machtlos. Der Terror sei ursprünglich in Berlin, Neukölln, losgegangen, hieß es, aber niemand im Land des Großen Bruders wusste es genau. Nur das Resultat war offensichtlich: Chaos und Anarchie. Keiner ging mehr zur Arbeit. Keiner funktionierte mehr. Und hinter jedem Baum warteten kichernde kleine Wesen, erzählten welche.
Da war es klar, dass diese Gefahr größer war als atomare Aktivitäten im Ölland. Es sollte ein Leichtes sein, vom Golf zum Ärmel zu wechseln. Absprachen mit alten Freunden waren nun nicht mehr möglich. Europa war als neue Gefahr erkannt, und die musste gebannt werden!

Es ging nachts los, und das Erstaunen in Paris, Berlin und Bern war groß. Aber nicht lange, denn bald war niemand mehr da, der sich wundern konnte. Piff, Paff, Schluss. Aufgeräumt.

Wenn der Kuchen gebacken ist, muss man noch ein bisschen warten, bis er abgekühlt ist. Und währenddessen die Krümel wegräumen. Dann kann man sich über das Ergebnis freuen. Tief einatmen und: Guten Appetit!

… und nie wieder nach Neukölln?

Dienstag, 27. Februar 2007

Achtung, die Gefahr ist noch nicht gebannt. Wie soeben gemeldet wurde, mussten weitere Straßen südlich der Ringbahn in Neukölln gesperrt werden. Zeugenaussagen zufolge werden Fußgänger von nicht sichtbaren Wesen angegriffen und ausgeraubt. Einem fünfjährigen Jungen wurden sogar alle Süßigkeiten genommen, die er aufgrund seines Geburtstages in den Kindergarten mitnehmen wollte. Nur sein Wurstbrot blieb unberührt. Die Einwohnerschaft traut sich nicht mehr auf die Straßen und die Polizei ist völlig ratlos. Herr Mayer-Mörgel, der hiesige Polizeichef, spricht von einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes: Wie soll man verdammt noch mal die Viecher kriegen, wenn man sie nicht sehen kann?, soll er verzweifelt ausgerufen haben.
Erstaunlich ist bisher nur, dass sich die Gefahr noch nicht über die Bezirksgrenzen ausgebreitet hat: Sie scheint sich tatsächlich nur auf Neukölln zu beschränken, dort allerdings so sehr, dass ein Alltag im bisherigen Sinne nicht mehr möglich scheint.

Wir werden weiter berichten!

Nur mal eben zu Lalldl

Montag, 26. Februar 2007

Er dachte: So ein schneller Gang zum Supermarkt, das muss doch drin sein. Die Straße rauf, nach links abbiegen, fertig. Aber die Dinge sind nicht immer so einfach.
Vor dem Haus schien es ihm, jemand beobachte ihn. Quatsch, dachte er, wer sollte das denn sein. Abgesehen davon, dass die Leute hier oft andere beobachten, einfach aus Langeweile. Seine Pfandflaschen störten ihn etwas beim Laufen; aber die brachten immerhin die finanzielle Basis für den Nachschub. Was war das? Die Tasche knallte ihm ans Bein, als hätte sie ein Eigenleben, immer wieder!
Er ging schneller. Sollte der Alkohol sein Gehirn schon dermaßen benebelt haben? Auch seinen Ohren schien er nicht mehr trauen zu können. War da nicht eben ein Zischeln hinter dem Baum zu hören gewesen? Und jetzt eine Art Kichern? Er wurde immer nervöser. Ging schneller. Da erschien es ihm sogar, als griffen kleine Hände nach seinen Beinen, als zerre etwas an seiner Hose! Fast hätte ihn die Panik ergriffen. Einige Passanten, ein türkischer Vater mit seiner Tochter und ein älterer Mann mit Fahrrad, starrten ihn befremdet an.
Da fiel ihm die Geschichte ein, die seine Nachbarin von wieder einer anderen Nachbarin erzählt hatte: Von seltsamen Wesen auf dem Dachboden, die man nur mit Dreistigkeit besiegen könne. Wie, wenn diese Wesen jetzt hier auf der Straße unterwegs wären?
Wut packte ihn. Was wollten die denn von ihm? Warum nicht die anderen? Nein, so nicht! Und er stapfte plötzlich mit energischen Schritten über die Neuköllner Pflastersteine, dass es nur so donnerte. Er schaffte es! Stark und mit neuem Lebensmut holte er sich an diesem Tag seine neue Sechserpackung Bier. Niemand sollte ihn aufhalten!

Na gut, nicht in dieser Stunde. Dass dann später seine Schwiegermutter aufkreuzte und ihn sehr wohl aufhielt, will hier wohl keiner mehr hören. Verständlich.