Archiv für März 2007

Andreas 3

Samstag, 17. März 2007

Andreas nahm sich in der Pause im Lehrerzimmer einen Kaffee und vertiefte sich sofort in irgendwelche Rundschreiben, um nicht angesprochen zu werden. Nicht, dass jemand wirklich Lust gehabt hätte, ihn anzusprechen. Er starrte auf die Schreiben und machte sich klar, dass zu einer fähigen Kommissarin natürlich der obligatorisch unfähige Vorgesetzte gehörte, der ihr immer Steine in den Weg legte. Immer wieder erfolgreich. Und es macht einen jedes Mal wahnsinnig! Wollten das die Leser nicht alle, gequält werden? Ah, zum Thema gequält: Zur Mordmethode musste er sich noch einige Gedanken machen! Den Kopf abhacken? Ach nein, das gabs neulich erst, Riesensauerei im Wohnzimmer. Eklige Gespräche in der Pathologie; aber doch, ein bisschen Sauerei musste schon rein.

„Kannste mir mal den Stundenplan der 3b reichen?“ Andreas schreckte aus seinen Träumen auf und reichte der Kollegin mürrisch den Wisch.

Tach, Thekla Tamm mein Name, Kripo Berlin!“ Die junge Kommissarin schob sich an den entsetzten Menschen vorbei zur Leiche …
„Tschuldigung, können Sie mich mal eben durchlassen? Kriminalpolizei! Lara Lemm mein Name!“

Wie stellten die sich eigentlich vor, hier in Berlin? „Kripo Neukölln“, „Kripo Mitte“? Er nahm sich vor, da mal nachzuhaken. Außerdem musste der Name natürlich stimmen: peppig wie Bora Blau oder Rosi Ruth, ganz klar. Andreas merkte, dass ihn sein Lebenswerk vor größere Schwierigkeiten stellte, als er es geahnt hätte. Getauft hatte er bisher noch niemanden. Und auch die Mordmethode musste noch entschieden werden. Eine exotische Methode und ein exotisches Motiv? Liebeskranker Ex-Samurai mordet auf Ninja-Art. Oder unglückliche Indianerin erinnert sich an alte Woodoo-Tricks ihrer Großmutter? Genüsslich rührte Andreas in seiner Tasse und malte sich die Qualen der Opfer aus, als ihm ein Kollege auf die Schulter klopfte. Pause vorbei!

Andreas 2

Samstag, 17. März 2007

Im Klassenzimmer herrschte wie immer Chaos, als Andreas versuchte, sich auf das ganz Wichtige zu konzentrieren: Sein Werk.
An der Tafel entstanden nachlässig Wörter, Der Fluss, fließen, geflossen, nass, heiß, wild … Einige Schüler meldeten sich eifrig und hätten gerne gewusst, was „nass“ mit „wild“ zu tun haben sollte, aber er war nicht ansprechbar. Die ersten Worte wollten heraus! Und natürlich sollten die ersten Worte seines Buchs fesselnd sein, vielversprechend, gleich der richtige Sprung in die richtige Mischung!

Ein nächtlicher Spaziergang würde ihm gut tun, dessen war er sich gewiss. All die wüsten Gedanken, die er soeben mit ihr verwirklicht hatte, mussten in den lauen Frühlingsabend hinaus!

Vielleicht doch ein wenig zu schwülstig? Das sollte nur die Vorbereitung für den ersten Mord sein. Denn Morde sollte es natürlich jede Menge geben, und einen Kommissar, der sich wohltuend von allem Bisherigen abhob. Oder lieber doch eine Kommissarin? Ja. Sexy, unkonventionell, dreist. Schnappt sich die Männer, wie die es gerne hätten. Auch wenn es womöglich nur verklemmte Grundschullehrer waren. Die sagte ganz einfach „Hey, komm, wir machen es einfach“, und dann gings los.

Die Klasse warf mit kleinen Papierkügelchen nach ihm. Er aber merkte nichts.

Andreas 1

Freitag, 16. März 2007

Als er an jenem Morgen aufwachte, wusste er es: Er würde etwas wirklich Großes schaffen! Den fantastischen Roman. Die fesselnde Geschichte, für die Leute ihre U-Bahnstation verpassten. Einen Krimi mit Blut und Herzblut und Sex und Crime! Mit allem, was das Volk begehrte.
Dumm nur, dass er an jenem Morgen erst einmal seine 3b unterrichten musste. Also verschob er das großartige und preiswürdige Projekt auf den Nachmittag.
Vor seinen Augen stapelten sich schon die Bände mit seinem Namen im Eingangsbereich der großen Buchhandlungen. Mit diesen berauschenden Bildern vor Augen fiel es ihm leichter, seinen Stehplatz bis Innsbrucker Platz zu behaupten.

Schon an diesem Tag merkte er, dass sich sein Leben verändert hatte. Er sah die Welt plötzlich mit anderen Augen: Die Frau mit den Hyänenhaaren wurde gedanklich ebenso verarbeitet wie das junge Mädchen, das direkt vor seinen Augen in der S-Bahn ihren dicken Roman beendete, das Buch zuschlug und aufblickte. Direkt in seine Augen. Er lächelte ihr kurz und verständnisvoll zu, denn ein solcher Augenblick ist immer etwas Besonderes: Der Abschied von einem liebgewonnenen Begleiter. Auch er würde nun einen solchen Begleiter schaffen!
Beschwingt betrat er an jenem Tag das Klassenzimmer.

Zeitungsabo

Dienstag, 13. März 2007

Wenn man eine Berliner Tageszeitung lesen will, kann man zu einem Kiosk gehen und sich eine kaufen. Kann man.
Oder man lässt sich auf das Spielchen ein: Wer schafft wen?
Zum Beispiel am Zoo. Man steige aus der U-Bahn, gehe eine Treppe rauf und warte. Zurzeit sind sie wieder fast täglich anzutreffen, die liebenswürdigen Zeitungsverschenker. Aber man muss sich ihnen zu entwinden wissen! Also: Nicht zu schnell vorbeihetzen. Und nicht zu langsam! Man bekommt mit einem charmanten Lächeln eine Zeitung in die Hand gedrückt und das könnte es dann gewesen sein. Nix da! Jetzt beginnt das Spiel. „Darf ich Sie fragen – wohnen Sie in Berlin?“ Die Kunst ist es, nicht zu lügen („Noi, bin Turischt“ wäre ja langweilig) und trotzdem heil aus der Sache rauskommen. ‚Heil‘ heißt hier: Ohne zweiwöchiges Probeabo. Was wiederum ewige Anrufe nach sich zieht – wie siehts denn nu aus mit dem richtigen Abo, na los, das bringts doch, was haben Sie denn gegen unsere Zeitung, Sie wollen doch ein gebildeter Mensch sein, laberfasel. Das will doch wohl keiner.
Also muss das Spielchen schnell und munter ablaufen, man will sich ja auch nicht den Tag versauen. „Klar wohne ich in Berlin. Danke noch für die Zeitung, habs leider eilig!!“ ist eine erfolgreiche Variante. Oder aber man verspricht ganz ernst, sich die Zeitung mal anzusehen und darüber nachzudenken …
Richtig fies wird es, wenn der Zeitungsaboandreher die gequälte Tour einschlägt: „Hören Sie, das kostet Sie doch nichts, zwei Wochen die Zeitung frei ins Haus! Und ich brauch diesen Job, sehen Sie, wenn ich nicht genug Abos abliefere …“. Fies, sage ich da nur. Von dem nehme ich dann nie wieder eine Zeitung. Selber schuld.

Peng!

Montag, 12. März 2007

Manchmal muss ich die nächtliche Karl-Marx-Straße entlang gehen und mich über seltsame Typen wundern. Nö, nicht dass man mich belästigen würde. Die krakeelen eher Unflätiges zu dem Polizeieinsatzwagen, der in der Flughafenstraße parkt und wieder andere Gestalten beobachtet. Urgemütlich, die Gegend, vor allem am Wochenende abends.
Gestern hatte ich es etwas eilig, als mir ein Typ entgegen kam und plötzlich „Peng!“ sagte.

Wie jetzt, peng?? Ja wo simmer denn, dass ich schon verbal erschossen werde? Finde ich oberdreist! Wenn schon, dann doch bitte eine traditionelle Wumme oder sowas. Nicht einfach „Peng“! Ich wäre ja gerne stehen geblieben und hätte ihn auf sein seltsames Verhalten angesprochen, man kann ja über alles reden. Vielleicht hatte er einen frühkindlichen Kummer („und die anderen durften immer Cowboy spielen, bloß ich nicht!“). Aber irgendwie war meine Lust darauf dann doch nicht soo groß.

Außerdem hatte ichs ja eilig.

Fahrgastbefragung

Mittwoch, 07. März 2007

Sie kannte das schon: Ab und zu kam eine freundliche Fragetante in der U-Bahn auf sie zu, einen Block in der Hand. Und fragte unaufdringlich nach der Fahrt, den Umsteigebahnhöfen, vielleicht nach der Art der Fahrkarte. Also war sie heute nicht sonderlich überrascht und nickte bereitwillig, als sie angesprochen wurde:

„Entschuldigung, wir führen eine neue Fahrgastbefragung durch. Stört es Sie, wenn ich Ihnen ein paar ganz persönliche Fragen stelle?“
Nur los, dachte sie, hab mein Buch ja noch nicht rausgeholt.

„Welcher von den anderen Fahrgästen käme am ehesten als potenzieller Sexpartner für Sie in Frage?“
Sie sieht sich um und erblickt einen attraktiven Türken in Lederjacke, sagt aber nichts. Die Fragetante macht ein Kreuzchen auf ihren Block. Als sie sich vorbeugt, sieht sie verschiedene Ankreuzmöglichkeiten:
Dunkler Typ – Germanischer Typ – Desinteresse.
Vor dem dunklen Typ ist jetzt ein Kreuzchen.

„Nächste Frage: Wenn Sie über die Bierflaschenfrage in öffentlichen Verkehrsmitteln entscheiden dürften, was würden Sie bestimmen?“
– Raus mit den Kerlen mit Alkohol?
– Schmeißt nur die Flaschen raus?
– Darf ich auch mal nen Schluck aus der Pulle haben?
Sie muss nicht lange nachdenken und entscheidet sich für den Schluck.

„So. Jetzt würde ich gerne wissen, was Sie von einer einheitlichen Kleiderordnung halten. Sollten Personen, die nicht angemessen bekleidet sind (vor allem im Sommer) von so etwas wie Türstehern von der Fahrt abgehalten werden?“
Inzwischen nehmen auch die anderen Fahrgäste regen Anteil an den ganz persönlichen Fragen. Manche schimpfen über leicht bekleidete junge Frauen, andere über Maskierte in Kettenhemden. Sie entscheidet sich für die Antwort „Solange sie nicht stinken …“

„Dann wüsste ich als Nächstes gern, was Sie machen würden, wenn einer neben Ihnen zu rauchen anfinge.“
Da weiß sie die Antwort natürlich – sie würde sich auch eine Flumme gönnen.

„Ich muss mich wirklich für Ihre Geduld bedanken; all das dient dem harmonischeren Miteinander, darum ist es absolut wichtig, über die Bedürfnisse unserer Fahrgäste Bescheid zu wissen. Wie stehen Sie zu herabgesetzten Preisen von leichten Drogen in der BVG? Nach dem Motto ‚Berauscht durch Berlin‘?
Damit hat sie kein Problem und gibt ihr Kreuzchen für „Hey, gib mal die Tüte weiter, Alter“.

„Nun zum Schluss kommt noch unser kleiner Psychotest, dann sind Sie befreit. Wie würden Sie reagieren, wenn ein kräftiger Mann seine zarte Frau hier in der U-Bahn verprügeln würde?
– Selber schuld, die Kuh.
– Moment mal, ich such mal eben mein Tränengas.
– Hey Typ, komm mal her, ich zeig dir, was ich im Kampfkurs gelernt habe.
Sie muss sehr lange überlegen und nimmt dann den Kampfkurs. Schon den Mitfahrern zuliebe, die alle gespannt auf die Antworten warten. Am Ende sind alle zufrieden:
Die Fragetante hat ihre Antworten, sie hatte Unterhaltung und die anderen Fahrgäste erst recht. Als dann die Interviewerin verprügelt wird, schreitet niemand ein, weil man auf die Pointe wartet. Sie aber blinzelt dem attraktiven Türken zu.