Andreas 26

Mittwoch, 11. April 2007 19:39

An diesem Tag war Andreas besonders bekümmert. Nicht nur, dass ihn die Osterferien langsam langweilten (es machte wohl doch auch etwas Spaß, die lieben Kleinen zu quälen), nein, er hatte auch das Gefühl, an seine persönlichen Grenzen zu stoßen. Denn es gab eine Zutat für den perfekten Krimi, die ihm wirklich Sorgen bereitete, eine Zutat, die Millionen von Lesern liebten, unverständlicherweise: der Humor. Er sah sich ratlos in seiner Wohnung um. Ordentliches Bücherregal. Nippes von Mama, das er nach ihrem letzten Besuch (wie lange war das jetzt schon her?) vergessen hatte, wieder beiseite zu schaffen. Sein Schreibtisch überhäuft mit noch zu korrigierenden Texten und Übungsblättern, die er sich über die Feiertage runtergeladen hatte. Wo kriegt man Humor her?, fragte er sich verkrampft. Na gut, die schwedischen Krimis waren auch nicht übermäßig spaßig und doch erfolgreich. Trübe Ausblicke auf die einsame Winterlandschaft um gewisse Orte, die jetzt schon Touristenattraktionen waren, nur weil Kommissar Wallander dort gewandelt sein sollte. Dröge Häuserzeilen und verweifelte Einzelschicksale – nein. Die englischen Autoren, ja, die hattens schon besser drauf. Überraschende Entwicklungen, ironische Beschreibungen selbst der Opfer, ein schwuler Pathologe, der dem unangepassten Kommissar gerne näher kommen würde … wie lernte man das? Ach ja, auch sein Problem mit der Annäherung Kommissarin – Mörder war noch nicht gelöst.

Noch immer war die junge Kommissarin in dem japanischen Garten. Langsam war sie auf die kleine Holzbrücke gewandert und lehnte sich nun an das verzierte Geländer, um auf die Nachbildung eines buddhistischen Tempels zu blicken. Er war die ganze Zeit hinter ihr geblieben, das konnte sie spüren. Wie hatte sie ihn eigentlich gefunden? Oder war er es, der sie aufgespürt hatte? Es war klar gewesen, dass der Treffpunkt hier sein würde.
Sie schloss die Augen und ihre Hände umschlossen noch fester die starken Holzstäbe, als würde sie sonst den Boden unter den Füßen verlieren. Er trat direkt hinter sie und konnte den Hauch ihrer Haare riechen. Wie konnte jemand eine solch rote Mähne haben? Fast berührte er sie, aber nur fast. Sie zuckte zusammen, als sie seine Stimme vernahm, die tiefer klang, als sie es erwartet hätte.
„Man muss früh am Morgen hierher kommen, da ist es völlig leer. Nur ein einzelner Gärtner zieht die Linien im Sandgarten nach.“ Sie erschauerte mit einem Mal und wusste nicht warum. Und sie hatte alle Lust verloren, diesen Menschen der Staatsgewalt zu übergeben. „Kommen Sie oft hierher?“, wagte sie es schließlich, das Wort an ihn zu richten. Er aber schwieg nur, und als sie nach etlichen Minuten endlich den Mut hatte, sich umzudrehen und ihm in die Augen zu blicken – da war er verschwunden.

Andreas fühlte sich ganz plötzlich ganz einsam. Warum gab es eigentlich niemanden, der ihn verstand? Außer seiner Mutter natürlich. Ja, er würde der jungen Frau unten im Haus (N. Müller?) einen Brief schreiben! Er würde über das Missverständnis neulich im Hof sprechen. Und über den Frühling, über die japanische Zierkirsche hinter ihrem Haus, über all die Blüten und Bienen … Was ihn wieder an seinen Heuschnupfen erinnerte und an seine Tropfen. Er ging ins Bad. Rote Augen, rote Nase. Mist.

Andreas 25

Dienstag, 10. April 2007 22:48

Allmählich störte ihn die Vorstellung, dass eine Horde von Polizeibeamten seine japanisch-deutsche Schöpfung jagen und stellen sollte. Wieso eigentlich? Zugegeben, Kommissarin Nina war schon ordentlich sexy, da gönnte man ihr auch mal Erfolg im Beruf. Aber die anderen, die Dumpfbacken? Die verstanden doch gar nicht, worum es in Wirklichkeit ging! Um die heilige Rache am Bösen schlechthin!
In diesem Moment hätte Andreas seinen Traum am liebsten aufgegeben und die Sache mit dem Krimi ad acta gelegt. Überhaupt: Ein solider Arztroman mit Liebe und Schmalz, Schwarz und Weiß – wäre das nicht viel sinnvoller? Aber nein, er war der Idee schon zu sehr verbunden. An diesem Dienstag war er sogar extra in die Amerikanische Gedenkbibliothek gegangen, um sich über Japan kundig zu machen. Auch mit einem Dozenten der Japanologie hatte er schon telefoniert und einen Termin ausgemacht. Ja, gut recherchiert musste schon werden! Aber was würde mit seinem Mörder-Helden passieren?

Nina spürte, dass jemand hinter ihr stand, doch drehte sie sich nicht um. Denn sie wollte ihn nicht verlieren, diesen einzigartigen Moment der Verbundenheit. Sie stand im japanischen Wald der Geborgenheit, und dort hatte sie ihn auch erwartet. Würde er es wagen, mit ihr zu sprechen, womöglich seine Taten zu gestehen?

Hm. Wie stellte er, Andreas, es an, dass sich ein grimmiger Held mit Mordgewohnheiten einer flippigen Kommissarin annäherte? Darüber würde er noch eine Weile nachdenken müssen – erst einmal gönnte er sich einen seltenen Döner ganz in der Nähe der Bibliothek. Heute sogar: Dürüm Döner mit extra scharfer Soße. Was er dann aber schnell bereute.

Andreas 24

Montag, 09. April 2007 23:03

Nur wenn er mit seinem alten Gegner Go spielte, kam er zur Ruhe. Er konnte dabei auf das Brett starren und Bilder tauchten vor ihm auf; Bilder von Gebieten, die eingekreist werden mussten und Bilder von weißen oder schwarzen Feldern, die ihm schon gehörten. Dabei konnte er endlich nachdenken – was der andere mehr ahnte als wirklich merkte. Denn einen wahren Freund hatte er nicht mehr, seitdem er Japan verlassen hatte.

Andreas putzte sich schnaubend die Nase (Heuschnupfen) und erinnerte sich gleichzeitig daran, dass das in Japan unbedingt verpönt war. Ansonsten beschränkten sich seine Weisheiten eher auf ein markiges „Hai, Toranaga-sama!“ und ein zart gesäuseltes „Anjin-san!“ aus Shogun. Den Film hatte er nicht nur einmal genossen!
Ja, etwas Exotisches musste rein in sein Werk, das hob das Niveau. Also doch mal zur Uni, sich über Japan kundig machen? Oder einfach Sushi essen gehen? Vor rohem Fisch graute ihm allerdings, und schon die Vorstellung ließ ihn wieder verzweifelt niesen. Kalte Häppchen mit saurem Reis und Meerrettich unter dem rohen Fisch? Igitt. Sollte er sich nicht doch lieber einen mexikanischen Helden ausdenken, der Tacos und Nachos verzehrte? Ein Nachfahre jener sagenumwobenen Azteken, deren Gold … nein. Er wollte bei Japan bleiben.

Andreas 23

Montag, 09. April 2007 14:35

Ostermontag saß Andreas in der Küche und pellte sich ein Ei: Ja, ein richtiges, hart gekochtes vom Bäcker nebenan. Einmal im Jahr was Verrücktes machen … rosa mit orange gefärbt.
Zeitsprünge. Darüber musste er noch nachdenken: Was einen guten Krimi noch spannend machte, waren plötzliche Zeitsprünge, Überschriften wie „“23. März 1978“, das erhellte die Einblicke des staunenden Lesers ungemein.
Wo war er eigentlich 1978? Da war er elf Jahre alt gewesen. Ostereier wurden also noch gesucht, wenn auch schon etwas verschämt und mehr, um den gerührt lächelnden Eltern eine Freude zu machen. 1978. Waren da nicht schon all die schlimmen Terroristen gefasst und hinter Schloss und Gittern? Stimmt, als er zehn war, da sprachen die Leute von nichts anderem, und auf einmal war der Spuk vorbei. Komisch.

3. März 1981. Japan. (Ach ja, den Ort musste man auch immer dahinter schreiben. Erleichterte die Zeitreise.) Er war gerade zehn geworden und stolz, heute, am Knabentag, das Geschenk seines Meisters entgegen zu nehmen. Er durfte seinen Festtagskimono tragen, obwohl seine Eltern sich immer etwas darüber amüsierten. Sie verstanden ihn einfach nicht! „Du bist einfach kein Japaner, Enno, daran musst du dich doch gewöhnt haben!“ Aber er würde sich nie daran gewöhnen, nein, tief in seinem Inneren war er japanischer als all die schwarzhaarigen Söhne Nippons um ihn herum!

Puh, schwarzhaarige Söhne Nippons? Klang gar nicht gut, Andreas strich das wieder. Schlitzaugen? Unmöglich. Nachkommen der Samurai? Nein, das betraf ja nur wenige. Zum Überlegen nahm er sich lieber noch ein Schokoladenei, mit Whiskyfüllung. Einmal im Jahr …

Andreas 22

Samstag, 07. April 2007 11:31

Ede Mielke genoss sein schmutziges Hobby. Er liebte es, dort im dunklen Park zu stehen und sie zu beobachten und auf die Richtige zu warten. Was mussten diese Frauen auch durch die Hasenheide gehen, um diese Zeit? Die wollten es doch nicht anders. Seine Taktik war dann immer die gleiche. Er folgte ihnen in einigem Abstand, bis sich eine günstige Gelegenheit ergab. Packte sie dann von hinten und presste sie an sich, wobei eine Hand immer gleich ihren Mund verschließen musste, die Kreischerei wollte man ja schließlich nicht antun. Die andere Hand befühlte schon zu diesem Zeitpunkt, wie lohnenswert der weitere Angriff war, und meist grunzte er schon jetzt lustvoll auf. Dann schleifte er sie ins Gebüsch, hielt sein Opfer fest und tat, was er sich zuvor genüsslich ausgemalt hatte. So war das auch an diesem Abend geplant. Lautlos, so dachte er zumindest, bewegte er seinen verschwitzten, fünfzigjährigen Körper durch den Park und hielt Ausschau. Doch heute wurde er das seltsame Gefühl nicht los, selbst beobachtet zu werden. Wie das? War da womöglich ein Weib hinter seinem kräftigen Körper her? Wäre doch irgendwie verständlich! Ungefähr dies waren die letzten Gedanken von Eduard Mielke. Das Schwert traf ihn blitzschnell, und es war mehr Überraschung als Schmerz, was ihn erstarren ließ.
Der Mann in Schwarz wischte seine japanische Waffe mit einem weichen Tuch ab, bevor er sie wieder verstaute. Eine weitere gute Tat.

Eigentlich, so dachte Andreas, müsste es für jeden Menschen die typische Mordart geben. Da waren die weiblichen Giftmörderinnen, die den Tod sanft reichen wollten wie ihre Weihnachtsplätzchen, ohne das Opfer berühren zu müssen. Oder der männliche Schießer, der sein tödliches Geschoss in den Gegner schleuderte und dessen Zusammensacken noch genoss. Ein Schwert- oder Messermörder wollte die Verlängerung seines Arms, er wollte strafen! Dann gab es die feinen Haushaltsmörder, die mit geschickten Installationen jeden Verdacht von sich ablenkten und ihre Morde als Unfall aussehen ließen. Hatte er da nicht einmal einen sehr humorigen Film gesehen, ja, mit Korff war das gewesen, ein gequälter Mieter befreite sich da von lästigen Nachbarn. Wunderbar. Und er, Andreas? Was für ein Mörder wäre er, wenn es darauf ankäme?
An diesem freien Samstag zwischen Karfreitag und Ostersonntag verbrachte er noch einige zufriedene Stunden im Bett. Er hatte sich schon ein Blätterkrokantei aus der Küche geholt – „Aber Andilein, doch nicht vor Ostern!“, hätte seine Mutter mit vorwurfsvollem Stirnrunzeln gesagt, und er hätte das Ei womöglich wieder zurückgelegt, verlegen errötend. Aber er war ja frei! Dort aus dem Pflegeheim konnte sie ihn nicht mehr erreichen.
Und seine spezielle Mordmethode? Oh ja, der Mord musste als solcher erkennbar sein, aber die Polizei in eine völlig falsche Richtung führen! Und ganz wichtig: Er durfte nicht gesehen werden. Er durfte keine Spuren hinterlassen. Und es durfte kein Motiv geben, das zu ihm führen konnte! Vergnüglich stopfte er sich die Kissen zurecht und freute sich über die strahlende Aprilsonne draußen.

Aprilblüten

Samstag, 07. April 2007 10:49

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