Andreas 25

Dienstag, 10. April 2007 22:48

Allmählich störte ihn die Vorstellung, dass eine Horde von Polizeibeamten seine japanisch-deutsche Schöpfung jagen und stellen sollte. Wieso eigentlich? Zugegeben, Kommissarin Nina war schon ordentlich sexy, da gönnte man ihr auch mal Erfolg im Beruf. Aber die anderen, die Dumpfbacken? Die verstanden doch gar nicht, worum es in Wirklichkeit ging! Um die heilige Rache am Bösen schlechthin!
In diesem Moment hätte Andreas seinen Traum am liebsten aufgegeben und die Sache mit dem Krimi ad acta gelegt. Überhaupt: Ein solider Arztroman mit Liebe und Schmalz, Schwarz und Weiß – wäre das nicht viel sinnvoller? Aber nein, er war der Idee schon zu sehr verbunden. An diesem Dienstag war er sogar extra in die Amerikanische Gedenkbibliothek gegangen, um sich über Japan kundig zu machen. Auch mit einem Dozenten der Japanologie hatte er schon telefoniert und einen Termin ausgemacht. Ja, gut recherchiert musste schon werden! Aber was würde mit seinem Mörder-Helden passieren?

Nina spürte, dass jemand hinter ihr stand, doch drehte sie sich nicht um. Denn sie wollte ihn nicht verlieren, diesen einzigartigen Moment der Verbundenheit. Sie stand im japanischen Wald der Geborgenheit, und dort hatte sie ihn auch erwartet. Würde er es wagen, mit ihr zu sprechen, womöglich seine Taten zu gestehen?

Hm. Wie stellte er, Andreas, es an, dass sich ein grimmiger Held mit Mordgewohnheiten einer flippigen Kommissarin annäherte? Darüber würde er noch eine Weile nachdenken müssen – erst einmal gönnte er sich einen seltenen Döner ganz in der Nähe der Bibliothek. Heute sogar: Dürüm Döner mit extra scharfer Soße. Was er dann aber schnell bereute.

Andreas 24

Montag, 09. April 2007 23:03

Nur wenn er mit seinem alten Gegner Go spielte, kam er zur Ruhe. Er konnte dabei auf das Brett starren und Bilder tauchten vor ihm auf; Bilder von Gebieten, die eingekreist werden mussten und Bilder von weißen oder schwarzen Feldern, die ihm schon gehörten. Dabei konnte er endlich nachdenken – was der andere mehr ahnte als wirklich merkte. Denn einen wahren Freund hatte er nicht mehr, seitdem er Japan verlassen hatte.

Andreas putzte sich schnaubend die Nase (Heuschnupfen) und erinnerte sich gleichzeitig daran, dass das in Japan unbedingt verpönt war. Ansonsten beschränkten sich seine Weisheiten eher auf ein markiges „Hai, Toranaga-sama!“ und ein zart gesäuseltes „Anjin-san!“ aus Shogun. Den Film hatte er nicht nur einmal genossen!
Ja, etwas Exotisches musste rein in sein Werk, das hob das Niveau. Also doch mal zur Uni, sich über Japan kundig machen? Oder einfach Sushi essen gehen? Vor rohem Fisch graute ihm allerdings, und schon die Vorstellung ließ ihn wieder verzweifelt niesen. Kalte Häppchen mit saurem Reis und Meerrettich unter dem rohen Fisch? Igitt. Sollte er sich nicht doch lieber einen mexikanischen Helden ausdenken, der Tacos und Nachos verzehrte? Ein Nachfahre jener sagenumwobenen Azteken, deren Gold … nein. Er wollte bei Japan bleiben.

Andreas 23

Montag, 09. April 2007 14:35

Ostermontag saß Andreas in der Küche und pellte sich ein Ei: Ja, ein richtiges, hart gekochtes vom Bäcker nebenan. Einmal im Jahr was Verrücktes machen … rosa mit orange gefärbt.
Zeitsprünge. Darüber musste er noch nachdenken: Was einen guten Krimi noch spannend machte, waren plötzliche Zeitsprünge, Überschriften wie „“23. März 1978“, das erhellte die Einblicke des staunenden Lesers ungemein.
Wo war er eigentlich 1978? Da war er elf Jahre alt gewesen. Ostereier wurden also noch gesucht, wenn auch schon etwas verschämt und mehr, um den gerührt lächelnden Eltern eine Freude zu machen. 1978. Waren da nicht schon all die schlimmen Terroristen gefasst und hinter Schloss und Gittern? Stimmt, als er zehn war, da sprachen die Leute von nichts anderem, und auf einmal war der Spuk vorbei. Komisch.

3. März 1981. Japan. (Ach ja, den Ort musste man auch immer dahinter schreiben. Erleichterte die Zeitreise.) Er war gerade zehn geworden und stolz, heute, am Knabentag, das Geschenk seines Meisters entgegen zu nehmen. Er durfte seinen Festtagskimono tragen, obwohl seine Eltern sich immer etwas darüber amüsierten. Sie verstanden ihn einfach nicht! „Du bist einfach kein Japaner, Enno, daran musst du dich doch gewöhnt haben!“ Aber er würde sich nie daran gewöhnen, nein, tief in seinem Inneren war er japanischer als all die schwarzhaarigen Söhne Nippons um ihn herum!

Puh, schwarzhaarige Söhne Nippons? Klang gar nicht gut, Andreas strich das wieder. Schlitzaugen? Unmöglich. Nachkommen der Samurai? Nein, das betraf ja nur wenige. Zum Überlegen nahm er sich lieber noch ein Schokoladenei, mit Whiskyfüllung. Einmal im Jahr …

Andreas 22

Samstag, 07. April 2007 11:31

Ede Mielke genoss sein schmutziges Hobby. Er liebte es, dort im dunklen Park zu stehen und sie zu beobachten und auf die Richtige zu warten. Was mussten diese Frauen auch durch die Hasenheide gehen, um diese Zeit? Die wollten es doch nicht anders. Seine Taktik war dann immer die gleiche. Er folgte ihnen in einigem Abstand, bis sich eine günstige Gelegenheit ergab. Packte sie dann von hinten und presste sie an sich, wobei eine Hand immer gleich ihren Mund verschließen musste, die Kreischerei wollte man ja schließlich nicht antun. Die andere Hand befühlte schon zu diesem Zeitpunkt, wie lohnenswert der weitere Angriff war, und meist grunzte er schon jetzt lustvoll auf. Dann schleifte er sie ins Gebüsch, hielt sein Opfer fest und tat, was er sich zuvor genüsslich ausgemalt hatte. So war das auch an diesem Abend geplant. Lautlos, so dachte er zumindest, bewegte er seinen verschwitzten, fünfzigjährigen Körper durch den Park und hielt Ausschau. Doch heute wurde er das seltsame Gefühl nicht los, selbst beobachtet zu werden. Wie das? War da womöglich ein Weib hinter seinem kräftigen Körper her? Wäre doch irgendwie verständlich! Ungefähr dies waren die letzten Gedanken von Eduard Mielke. Das Schwert traf ihn blitzschnell, und es war mehr Überraschung als Schmerz, was ihn erstarren ließ.
Der Mann in Schwarz wischte seine japanische Waffe mit einem weichen Tuch ab, bevor er sie wieder verstaute. Eine weitere gute Tat.

Eigentlich, so dachte Andreas, müsste es für jeden Menschen die typische Mordart geben. Da waren die weiblichen Giftmörderinnen, die den Tod sanft reichen wollten wie ihre Weihnachtsplätzchen, ohne das Opfer berühren zu müssen. Oder der männliche Schießer, der sein tödliches Geschoss in den Gegner schleuderte und dessen Zusammensacken noch genoss. Ein Schwert- oder Messermörder wollte die Verlängerung seines Arms, er wollte strafen! Dann gab es die feinen Haushaltsmörder, die mit geschickten Installationen jeden Verdacht von sich ablenkten und ihre Morde als Unfall aussehen ließen. Hatte er da nicht einmal einen sehr humorigen Film gesehen, ja, mit Korff war das gewesen, ein gequälter Mieter befreite sich da von lästigen Nachbarn. Wunderbar. Und er, Andreas? Was für ein Mörder wäre er, wenn es darauf ankäme?
An diesem freien Samstag zwischen Karfreitag und Ostersonntag verbrachte er noch einige zufriedene Stunden im Bett. Er hatte sich schon ein Blätterkrokantei aus der Küche geholt – „Aber Andilein, doch nicht vor Ostern!“, hätte seine Mutter mit vorwurfsvollem Stirnrunzeln gesagt, und er hätte das Ei womöglich wieder zurückgelegt, verlegen errötend. Aber er war ja frei! Dort aus dem Pflegeheim konnte sie ihn nicht mehr erreichen.
Und seine spezielle Mordmethode? Oh ja, der Mord musste als solcher erkennbar sein, aber die Polizei in eine völlig falsche Richtung führen! Und ganz wichtig: Er durfte nicht gesehen werden. Er durfte keine Spuren hinterlassen. Und es durfte kein Motiv geben, das zu ihm führen konnte! Vergnüglich stopfte er sich die Kissen zurecht und freute sich über die strahlende Aprilsonne draußen.

Aprilblüten

Samstag, 07. April 2007 10:49

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Andreas 21

Freitag, 06. April 2007 19:56

Wenn es Nacht wurde über Berlin, dann war es seine Zeit. Er wanderte in seinem langen Gewand durch die Straßen und hielt Ausschau. Nach wem? Nach dem, der in seinen Augen die Strafe verdiente. Denn er wollte die Welt rein machen von Sünde, und so musste er zum Bösen greifen, um das Böse zu bekämpfen. An jenem Abend war es die Hasenheide, die er durchstreifte. Die leise seufzenden Pärchen beachtete er nicht und auch die Gestalten mit ihren Drogenpäckchen im Gebüsch kümmerten ihn heute wenig. Ihm stand eine ganz andere Sünde vor Augen. Seine Hand schloss sich fester um den Griff des alten japanischen Schwerts, das er schon so lange besaß. War es das, was sich einst sein Sensei gewünscht hatte?

Andreas dachte über die letzten Worte nach. Was brachte einen eigentlich dazu, sich zum einsamen Rächer aufzuschwingen? Welche der ganzen Fiesigkeiten um ihn herum waren für so einen tolerabel, welche nicht? Ihm selbst ging ja weiß Gott viel auf den Keks. Hunger. Er würde sich heute zur Feier des Karfreitags eine dieser Fertigsuppen machen, mit „extra viel Gemüse“ und wenig Fett. Versprach jedenfalls die Packung. Er nahm sich eine Schere aus der Schublade und betrachtete sie plötzlich, als sei es das erste Mal. Wie war das eigentlich, wenn man jemanden tötete? Wie fühlte sich das an? Musste ein ordentlicher Schreiberling nicht alles testen, bevor er es hinschrieb?
Verwirrt über seine Gedanken schüttelte er den Kopf und das Suppenpulver in den Topf.